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Upcycling und nicht Recycling

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Against throw-away-ism – Neue Originalität mit dem Zeitgeist vergangener Tag – Alte Bücher, das geblümte Teeservice der Tante, oder ein kaputtes Lieblingskarohemd: Fast täglich begegnen wir Dingen, die wir aus irgendeinem Grund nicht mehr benötigen – und sei es nur, weil wir mal wieder ausmisten wollen. Die gute Nachricht: Ein aktueller Trend erlaubt uns, unsere alten Schätze zu behalten und sie gleichzeitig in völlig neuem Licht zu sehen. Nämlich dann, wenn aus den Büchern ein modernes Wandregal entsteht, die Tassen des Tischservice sich in Lampenschirme verwandeln und Papas kaputtes Karohemd uns als Handtasche über der Schulter baumelt. Upcycling heißt das Ganze. Und kein Material ist mehr davor sicher – wirklich gar keins…

Gebrauchtes wieder schätzen lernen

Recycling kennt jeder. Einmal benutzt, geben wir unsere alten Plastikverpackungen, Eierkartons und Glasflaschen zurück in den Verwertungskreislauf. Sie werden umgewandelt und wiederverwertet. Dabei findet fast immer der Prozess des Downcyclings statt. Das ehemalige Material ist in seinem neuen Gewand also weniger wert. Nicht so beim Upcycling. Hier ist das Gegenteil der Fall. Dadurch, dass alte Dinge zu neuen kombiniert und umgewandelt werden, erhalten sie eine erhebliche Aufwertung. Ein gutes Beispiel für diesen Prozess sind die stabilen Europaletten. Aus ihnen lassen sich Tische, Betten, Regale, Stühle und sogar Sofas herstellen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Das Material ist günstig, ein Europaletten-Möbel besitzt nicht jeder, und wir können unsere eigene Vision eines Möbelstücks verwirklichen. Am Anfang steht immer eine kreative Idee. Dass, was wir aus der abgenutzten Palette herstellen möchten, macht zusammen mit der Geschichte des Möbelbaus selbst den Wert des fertigen Möbels aus. Und was mindestens genauso wichtig ist: Wir haben etwas selbst erschaffen!

uppppPatchwork der Erinnerungen

„Aus alt mach neu“, lautet also das Upcycling-Motto. Und das klingt ziemlich bekannt. Unsere Großeltern mussten früher oft mit wenig Geld eine große Familie ernähren. Da konnten sie sich nicht immer neue Kleidung für alle leisten. Also wurden die abgetragenen Pullover, Hosen und Röcke der älteren Geschwister geändert und einfach an die Kleineren angepasst. Designer, die Mode upcyceln, gehen noch einen Schritt weiter. Sie nutzen unterschiedliche Kleidungsstücke und kreieren aus ihnen ein völlig neues – ein Patchwork aus alten Erinnerungen sozusagen. So entsteht etwa aus einer Tischdecke und einem schön bestickten Geschirrhandtuch eine Jacke oder aus einer alten Jeans ein Mini-Rock. Hinter jedem neuen Lieblingsstück steckt ein kreativer Prozess, der sich von der Idee über die Auswahl des Materials bis hin zur Fertigstellung erstreckt. Deshalb sieht die kölner Mode-Designerin Amba Urbach die Verwandlung der alten Stoffe in neue Lieblingsstücke als Kunst, nicht als Mode. Ihr Wissen gibt sie in ihrem Atelier Kleidsam in Upcycling-Kursen weiter. Ein weiteres Beispiel für vollständige Verwandlungen gibt Judith Meike Plickert mit ihrem Label Rheinschauen. Sie dekoriert Manschettenknöpfe aus Edelstahl mit historischen Add-ons wie etwa Briefmarken, Landkarten oder Stoff. Und das Kölner Label Feuerwear fertigt Taschen und Accessoires aus gebrauchtem Feuerwehrschlauch, der sonst im Abfall landen und die Umwelt belasten würde.

Umdenken und neu erfinden

Die Beispiele lassen es bereits erkennen: Hinter Upcycling verbirgt sich weit mehr als provisorisches Basteln von Tetrapacktaschen und Klorollenstiftehaltern. Zahlreiche Labels und Designer sind längst auf den Zug aufgesprungen. Und im Internet hat sich eine große Community gebildet, die täglich unzählige Upcycling-Ideen auf der Online-Pinnwand Pinterest oder im eigenen Blog teilt. Die Ideen reichen von Lampen aus Bügeleisen über Weinkisten als Fahrradkörbe bis hin zu Neukreationen mit alten Ikea-Möbeln. Da ist es nur logisch, dass auch die Kunstszene die neue Originalität für vergangenen Zeitgeist für sich entdeckt hat. Die Fotokünstler von BRC Designs erwecken beispielsweise Kunstschätze zu neuem Leben, indem sie die Werke berühmter Maler mit Knöpfen, Legosteinen, Perlen, Wäscheklammern oder sogar Gummitieren nachmodellieren. Andere verschönern eine Betonwand mit Kacheln, die von den Bürgern eines Dorfes individuell gebrannt und gespendet wurden. Das gemeinsame Ziel: Sich mit scheinbar nutzlosen Rohstoffen auseinandersetzen und aus ihnen etwas Einzigartiges kreieren.

Upcycling ist eine klare Absage an die Wegschmeissgesellschaft.

Doch Upcycling lässt nicht nur alte Dinge neu erstrahlen, sondern es reduziert auch die Neuproduktion von Rohmaterialien. Damit verringert es auf lange Sicht Energieverbrauch, Luft- und Wasserverschmutzung sowie Treibhausgasemissionen. Und wenn wir ehrlich sind, ist ein schönes Sofa aus einer alten Palette viel ansehnlicher, als geschreddertes Holz, das zu Spanplatten gepresst wurde. Wenn man bedenkt, dass jährlich alleine in Europa an die sechs Millionen Tonnen Textilien weggeworfen werden und gut 75 Prozent davon auf der Mülldeponie enden, lässt sich Upcycling vor allem als Botschaft gegen die Wegwerfgesellschaft in den modernen Industrienationen verstehen. Doch es ist eine Bewegung, die ohne den mahnenden Zeigefinger auskommt. Denn die Produkte liegen in erster Linie deshalb im Trend, weil ihr Design überzeugt. Natürlich ist Upcycling auch Konsum. Aber es schärft gleichzeitig unsere Sinne für nützliche Kleinigkeiten (Kaffeekapseln, Verschlüsse, kaputte Spielzeugautos, u.v.m.), die im oftmals stressigen Alltag leicht unbeachtet und zu Unrecht in der Mülltonne landen. Apropos: Was geschieht eigentlich mit den upgecycleten Dingen, wenn wir sie uns übergesehen oder sie sich zu sehr abgenutzt haben? Wer upcycelt die dann? Und wie geht das? Dafür brauchen wir wieder ganz neue kreative Lösungen. Aber keine Sorge, wenn es soweit ist, wird sich sicher ein neuer Trend etablieren.

schimanskiUns hat das Upcycling-Fieber gepackt! Das Projekt: Die alte Jacke unseres Redaktionsleiters Andreas Bastian soll ein zweites Leben bekommen. Kein einfaches Vorhaben, denn der sprichwörtliche Zahn der Zeit hat an Bündchen und Außenmaterial ziemlich genagt. Einige Knöpfe fehlen auch. Aber die Jacke hat unschlagbar viele Taschen, ist bequem und sehr praktisch… Auf unserer Internetseite www.seconds.de könnt ihr mitverfolgen, wie die Kölner Designerin Amba Urbach aus der ollen Hülle eine Schimanski-Jacke zaubert.

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