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Nummer 9 lebt

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Warum die Ereignisse ums Gebäude 9
nicht nur Anlass zur Freude geben

Ein Kommentar von Felix J. Grosser

Das Gebäude 9 ist gerettet. Definitiv und auf Dauer. Eine Änderung des Bebauungsplans ermöglicht den Fortbestand des legendären Clubs am angestammten Ort. Bereits Anfang des Monats hat der Eigentümer des Geländes, eine Tochtergesellschaft der Sparkasse Köln-Bonn, den Betreibern einen unbefristeten Mietvertrag angeboten. Ein Erfolg, der nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass die Kampagne von Seiten der Betreiber und ihrer Unterstützer dezidiert nicht im Krawallmodus nach dem Schnittmuster: „böse Heuschrecken versus gute Alternativkultur“ geführt wurde.

Keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich daran erinnert, was in den ersten Tagen nach Bekanntwerden der Nachricht von der drohenden Schließung in den sozialen Netzwerken los war.
Es wurde kräftig ins Horn, wider den bösen Kommerz, geblasen – als ob ein Laden von der Größe des Gebäude 9 im tiefsten Untergrund operiere, und von seinen Betreibern ohne jegliche Gewinnaussicht gestemmt würde.

Dass der Bebauungsplan auf dem neuen Gelände auch Gewerbe- und Büroräumlichkeiten vorsah, wurde zum Anlass genommen, die Kreativwirtschaft zu kasteien – als ob mit einem Bauprojekt, das der in Köln bekanntermaßen fies grassierenden Wohnungsnot zumindest ein wenig Abhilfe schafft, nun ausgerechnet im postindustriellen Rumpeleck an der Deutz-Mülheimer Straße die Gentrifizierung Einzug hielte.

Am traurigsten war jedoch, dass eifrig gegen alle gehetzt wurde, die nicht irgendwie in das Bild passen, dass sich manche Zeitgenossen offenbar vom typischen Gebäude 9 Publikum machen. So bekamen zum Beispiel Hippies, Diskomädchen und natürlich die Schreckensgestalt und Wurzel allen Übels schlechthin „der Hipster“, ihr Fett weg.

Tenor: Das hier ist schließlich das Gebäude 9, das ist Kultur, nicht vergleichbar mit den Kaschemmen, in denen sich vorgenanntes Gesindel rumtreibt. Kritischen Reaktionen darauf wurde anstelle von Argumenten oft mit Häme begegnet, entsprechende Posts gelöscht und die Gruppe der Unterstützer nach kurzer Zeit für die Öffentlichkeit geschlossen.

Alles nur im emotionalen Überschwang, übers Ziel hinausgeschossene Reflexe, einiger hardcore-Fans, die ihren Lebensmittelpunkt bedroht sahen? Nichts als ein wenig Hintergrundrauschen aus dem ideologischen Blätterwald der Ewiggestrigen?

Zu einem gewissen Teil: sicher. Doch es ist mehr dran. Solche Vorkommnisse verweisen nämlich auf ein Grundproblem der alternativen Szene, aus dem eine bedenkliche Tendenz erwächst. Jede Subkultur läuft Gefahr, in der Verabsolutierung ihrer eigenen Distinktionsmerkmale nach innen in präskriptiv-autoritäre und nach außen ins egomanisch-solipsistische zu kippen.

Wenn sich unter den HipHoppern Kleingärtnermentalität ausbreitet und plötzlicher Muskelschwund im intellektuellen Sprunggelenk es unmöglich macht, das Jenseits des kongruent mit den eigenen Vorlieben verlaufenden Tellerrandes zu erhaschen; wenn sich Rocker und Punks den hochkulturellen Bias aneignen, mit dem das Establishment einst ihren Sound abtat; wenn das Raver-Hirn erst vollständig vom Denkorgan zum Schwamm für allerlei fröhliche Substanzen mutiert ist – dann haben sie alle zusammen ein Problem.

Denn wer vor lauter Hedonismus den Blick für die sozialen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen des eigenen Tuns verliert, dessen gegenkultureller Gestus ist nichts weiter als eine hohle Pose – ganz egal wie geil er sich dabei vorkommt.

Dabei wäre es so langsam an der Zeit, eines klar zu sehen: Die Verteilungskämpfe werden härter. Innerhalb begrenzten Stadtraums Freiräume gegenüber längst nicht immer unangemessenen Fremdansprüchen zu bewahren oder sogar dazu zu gewinnen; staatliche Kulturförderung endlich aus dem Hochkulturghetto rauszuholen und auch denen zugute kommen zu lassen, die zwar ebenfalls Steuern zahlen, deren kulturelles Leben sich aber außerhalb von Opern- und Konzerthäusern abspielt; kurzum: alternative Kultur dauerhaft und nachhaltig zu stärken, so wie es ihrer tatsächlichen Bedeutung im Leben unzähliger Menschen entspricht.

All das kann auf lange Sicht nur gelingen, wenn sich eine breite Allianz über Szenegrenzen hinweg und wider das der Popkultur immer inhärente Spiel mit dem Abgrenzungsbedürfnis für die gemeinsamen Interessen einsetzt.

Die erfolgreiche Arbeit von Zusammenschlüssen, wie der Kölner ClubKomm und der Berliner Club Commission, beweist: Die Organisationseliten haben das längst kapiert. Höchste Zeit also, dass die Fans nachziehen.

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