Karl Lagerfeld |
Zwischen mir und dem Rest der Welt
steht eine Glaswand

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„Parallele Gegensätze“ oder „Il n’y pas de mode si elle ne descend pas dans la rue!“

Die Ausstellung in Essen

Von Diana Zulfoghari

„Wo willze sowat denn anziehen?“ fragt die Frau in der lässig-ausgebeulten Strickjacke, während sie auf dem Videomonitor Chanel-Modeschauen betrachtet. „Gar nicht. Is ja Kunst!“, antwortet ihre Begleiterin. Ganz genau! Das ist Kunst. Ein Paralleluniversum, in dem es nur Schönes gibt. Keinen Hüftspeck, keine Wolkenbrüche (die Erfordernis einen Mantel über das Kunstwerk zu ziehen) und kein Konto mit Dispolimit. Das passt ins Folkwang-Museum.

„Das schönste Museum der Welt!“, so die Eigenwerbung. Mitten im Pott dieses lichte, dezent-moderne Haus, eine Kulturoase… und von jeher haben hier auch die einfachen Leute Zutritt, die Irdischen, die Bodenständigen, die Nachfahren von Bergmännern und Stahlarbeitern. Kunstverständnis ist keine Frage des Monatseinkommens. Mode schon! Die erste Lektion gibt es schon vor der Lagerfeld-Sonderausstellung – da prangt ein drei Mal überlebensgroßes Foto von KL, von hinten mit Neonröhren zum Heiligenschein verklärt… und daneben posieren sie, die Fashion victims, von weither angereist: die teure It-Bag am Arm, in angesagten Marken-Jeans und mit gelabelter Sonnenbrille, Daumen und Zeigefinger pistolenartig abgewinkelt, deuten sie auf sich selbst. Eingefrorene Geste für das Handy-Foto: ich, meine Klamotten, meine beste Freundin (fast so schön wie ich) und Karl Lagerfeld. Sofort versteht man, wie der Ausstellungstitel „parallele Gegensätze“ gemeint sein muss: auf der anderen Seite des Eingangs hängt eine Galerie von Lagerfeldschen Selbstportraits. Der Meister zeigt uns, wie ein Selfie sein soll: durchkomponiert, perfekt ausgeleuchtet. Nicht schnell geschossen, nein ein Tagewerk! Und bitte ohne Possen, ohne alberne Gesten oder nur den Anflug eines künstlichen Lächelns. Die Kunst steht für sich selbst! Und der Mensch, der Modemacher, der sich selbst zur Schöpfung macht, auch!

„Was ich sage, ist nur gültig, wenn ich es gerade gesagt habe. (…) Nehmen Sie das, was ich sage, bitte nicht so ernst. Wenn ich jetzt etwas sage, kann ich mich vielleicht morgen daran nicht mehr erinnern. Morgen bin ich schon ein ganz anderer Mensch.“

Ob mit Designertasche oder ohne, Freunde – so geht’s! Die Haltung muss stimmen, nicht das Label auf der Hose. Wir sehen in 14 Räumen den Grenzgang zwischen Pedanterie, deutscher Sammelwut und französischem Savoir-vivre; Askese und Überschwang… und hin und wieder einem Hauch Humor. Einen Spiegelschrank „Narcissus“ zu nennen!

Er wird zur zweiten Selfie-Shot-Station… ja wirklich: Handyfotos sind erlaubt. Bitte ohne Blitz. Hier sind die Posen der Besucher schon modifiziert – angepasst an das fotografische Werk des Meisters, bei dem jeder Chanel-Katalog zum Kunstband wird. Von der Haute-Couture, die hinab steigt auf die Straße. Ein Motto, auf das Gesicht eines Models geschrieben – böse Satire auf „Femen“?

Schau, wir schreiben nicht auf Titten, nackt ist das Gesicht… bar jeder Regung, jedes Gefühls. Die Models, deren Profession es ist, fotografiert zu werden, dabei ausdruckslos-glasig durch die Kamera hindurch zu schauen. Die Nichtpose, die gelangweilte, rein körperliche Anwesenheit, aber der Geist schon in weiter Zukunft schwebend, aha – so geht’s. Haben die Besucher verstanden und recken vor Narcissus, dem Spiegelschrank mit Schminkdöschen-Schiebefach, das eigene Näschen blasiert in die Luft, ziehen einen Flunsch wie beleidigte Kinder. Lernzielkontrolle – hier kann man sehen, was jeder gelernt hat von Lagerfeld, der auch unermüdlich und fleißig lernt: neue Techniken, alte Fotografenschule. Der historische Reklameschilder sammelt, römische Brunnen auf Silbernitrat bannt, Warhols Ideen nachempfindet, Weltliteratur verschlingt, schöne Bücher editiert. Hat ein Tag im aufgeräumten Universum des Karl Lagerfeld eigentlich 26 Stunden? Oder wie schafft er das alles?

Aber wer hat je in Essen so viele edle, frischgeputzte Schuhe, so perfekt manikürte junge Männer hinter gekonnt geknoteten Krawatten gesehen? Die Modebranche gibt sich ein Stelldichein: Stylisten, Fotografen, Designer, Studenten, Kreative aller Art. Junge Familien, Kinderwagen – die Lagerfeld-Ausstellung ist gut besucht, ziemlich voll. Dennoch bleibt das Publikum gut gelaunt. Vielleicht weil Musik aus unsichtbaren Lautsprechern dringt? Sehr ungewöhnlich für ein Museum. Das ist der Original-Soundtrack der letzten Chanel-Modenschau. Und dazu ein wandgroßes Foto, die Architekturmodelle der Bühnenbilder… die gezeichneten Entwürfe… und da sind sie! Die Originale! Winter 2013/2014 – so, wie sie für Chanel über den Laufsteg gingen. Zum Greifen nah.

Ist Mode Religion? Lagerfeld der Hohepriester, Paris das Mekka, darin die Tempel…. Und vor den Modellen sinken einige Besucher auf die Knie. Stoffe, zarter als Spinnweben. Glitzersteine, Pailletten – unzählige von Hand aufgenäht. Das ist nicht tragbar, das hat nichts mit Kleidung zu tun. Nicht mit dem, was uns warm hält oder praktisch ist. Keinen dieser Entwürfe könnte man waschen, öfter als zwei oder drei Mal tragen – es gibt keine Säume, keine Reißverschlüsse… eigentlich ist das, was hier gezeigt wird, nicht mal entfernt verwandt mit dem, was wir beim Shoppen erwerben, eine Saison tragen und dann wegwerfen. Diese Millionen von hauchzarten runden Stoffstückchen, wie ein Mosaik in Lagen übereinander geheftet, aus der Ferne ganz anders als aus der Nähe… unglaublich. In diesem Moment tippt die Aufsicht dem Mode-Jünger auf die Schulter: „Zurücktreten!“ „Aber ich hab es doch gar nicht angefasst, wirklich!!“ 50 cm Sicherheitsabstand sollen zu den Meisterwerken eingehalten werden. Wer näher kommt, löst einen stummen Alarm aus, der ertönt im Ohr der Sicherheitsleute, und die machen keine Scherze. Wie schade – in den Anblick von sorgfältig gefalteten Stofflagen, Spiegeln, Rasierklingen-Körbchen kann man sich verlieben, darin versinken und atemlos staunen. Selbst Theaterkostüme wirken daneben langweilig und bieder. Wenn es ein Gebot gibt in Lagerfelds Tempel, dann: Du sollst den Trends nicht nachlaufen – du sollst sie bestimmen!

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