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„Es gibt kein innovationsfreudiges Zeitungsressort“ – Interview mit Meinolf Ellers

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Meinolf Ellers ist einer der wenigen Journalisten, der das Internet bereits frühzeitig mit offenen Armen empfangen hat. Kein Wunder also, dass er schon vor knapp 30 Jahren mit Bild-Chefredakteur Kai Diekmann in einer WG in Münster über die Zukunft des Journalismus debattierte.

Als Geschäftsführer von dpa-infocom bekommt er heute hautnah mit, welche Spuren die fortschreitende Digitalisierung bei Verlagen, Nachwuchs und Institutionen hinterlässt.

Bei seconds-online spricht er über den Wandel der Medien- und Digitalwirtschaft. Seine Extra-Dosis an „Next Media“ holte er sich übrigens während seiner Zeit als Auslandskorrespondent in Japan.

Herr Ellers, Sie sind Geschäftsführer der dpa infocom, der Digitaltochter der dpa. Was genau verbirgt sich dahinter?

Meinolf Ellers: Oft reduziert die Fachöffentlichkeit die dpa auf einen Lieferanten von aktuellen Informationen und Nachrichten. Die dpa-Gruppe ist aber sehr viel breiter aufgestellt, ich beschreibe das immer gern mit dem berühmten Eisbergmodell: Über unser Nachrichtengeschäft nimmt man nur die Spitze wahr, aber unter der Wasserlinie liegen noch viele andere interessante Dinge. Wir haben innerhalb der dpa-Gruppe eine sehr gute Arbeitsteilung zwischen Berlin und Hamburg. In der Hauptstadt liegt mit dem Newsroom das Herz der dpa-Gruppe, in Hamburg kümmern wir uns um inhaltliche und technische Dienstleistungen. Dazu gehört etwa die infocom als Multimediadienstleister, aber auch die Mecom als Logistikdienstleister für Inhalte oder eben unsere PR-Tochter News Aktuell, die am Markt sehr gut angenommen wird.
Verstehen Sie sich deshalb eher als Agenturmanager, wie man ihn etwa aus der Kreativbranche kennt?
Da ist schon ein großer Unterschied, denn eine Nachrichtenagentur ist im Kern natürlich getrieben durch unabhängigen Nachrichtenjournalismus und das heißt letztlich, dass wir sehr viel näher am Kulturgut Journalismus liegen als am Wirtschaftsgut Journalismus, wie es vielleicht für PR oder Werbung gilt.

 

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Es ist ein Dauerthema: Magazine schließen, Stellen werden abgebaut. Können Journalisten in Zeiten der Krise nicht doch etwas von Werbern und anderen Kreativen lernen?
Also nochmal, ich bin kein Werber, aber setze mich natürlich auch mit grundlegenden Trends auseinander, die sich um Begriffe wie ‚Native Advertising‘ oder ‚Content Marketing‘ gruppieren. Das tun Werbefachleute vermutlich auch.

„Was mich aber seit dem Start der Digitalisierung begeistert hat, waren die unendlichen Möglichkeiten, Geschichten anders und ohne Limits zu erzählen.“

Wie gehen Sie grundsätzlich mit neuen Trends um? Spüren Sie eine Notwendigkeit, stets ganz vorne mit dabei zu sein, oder warten Sie eher ab?
Was aktuell passiert ist ja, dass Marken in großem Umfang Budgets aus klassischer Werbung und Anzeigen abziehen und an anderer Stelle investieren. Das kann beispielsweise im Content Marketing liegen, um direkt – über hochwertige redaktionelle Inhalte – mit den Zielgruppen ins Gespräch zu kommen und zu interagieren. Wir alle kennen das Beispiel von Felix Baumgartner und Red Bull, aber mittlerweile gibt es viele weitere beeindruckende Projekte.

 

Aber wenn Marken die Storys generieren: Wer braucht dann noch Journalisten?
Interaktion oder Engagement bekomme ich im Netz nur über starke Inhalte. Die werden von den Leuten geteilt, kommentiert und mit eigenen Inhalten angereichert. Das Erstaunliche an dieser Stelle ist ja gerade, dass die Marken selbst sagen: „Wir brauchen dafür guten Journalismus“. Das ist auch für die dpa ein wichtiger Trend.
Hat die Digitalisierung Sie in Ihrem Selbstverständnis als Journalist nicht ordentlich durchgeschüttelt?
Überhaupt nicht. Obwohl ich einen ganz klassischen Weg in den Journalismus gewählt habe. Das heißt, ich war schon während des Abiturs freier Mitarbeiter bei einer Tageszeitung und habe nach dem Volontariat dann bei dpa die ganze Schiene durchlaufen: Reporter, Ressortleiter und später Auslandskorrespondent. Im Digitalen bewege ich mich seit 1996 – dem Start des Medien-Internets in Deutschland.
Gehörten Sie zu denjenigen, die am heimischen Computer herumgeschraubt haben?
Das war mir damals alles sehr fremd. Was mich aber seit dem Start der Digitalisierung begeistert hat, waren die unendlichen Möglichkeiten, Geschichten anders und ohne Limits zu erzählen. Bei den Tageszeitungen musste ich immer in ein Layout reinproduzieren, da hieß es: Du hast für dein schönes Thema, wie toll das auch ist, heute leider nur 50 Zeilen. Bei der Agentur war das schon besser, ich konnte viel mehr Themen machen. Als Auslandskorrespondent habe ich drei bis vier Berichte und Reportagen pro Woche geschrieben, das wäre bei Zeitungen oder Magazinen einfach nicht möglich gewesen.

Welchen Einfluss hat das Web dann auf Ihre Arbeit genommen?
Es wurde noch einmal eine Grenze weggenommen. Was immer du brauchst, um deine Geschichte optimal zu erzählen: Es ist alles da, du kannst alles nutzen! Und heute stehen wir da und können als Journalisten alle Kanäle, alle Plattformen, alle Medienformate nutzen, über Social Media interagieren und die Nutzer miterzählen lassen. Also im Prinzip ein 360-Grad-Storytelling. Als ich in diesem Job vor über 30 Jahren anfing, hätte ich mir nie ausmalen können, dass das je möglich wird.

Ist das Internet also nicht weniger als die größte mediale Umwälzung seit der Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg im 15. Jahrhundert?
Absolut! Doch es ärgert mich ehrlich gesagt immer, wenn beharrungswillige Menschen in Redaktionen als Gutenbergfraktion bezeichnet werden. Ich empfinde das als große Ungerechtigkeit, denn Gutenberg war Steve Jobs und Larry Page in Personalunion – einer der größten Innovatoren der Menschheitsgeschichte und vor allem einer der größten Disruptoren, denn der Buchdruck hat ja damals tatsächlich das Meinungs- und Informationskartell der Kirche gesprengt. Das war eine unglaubliche Revolution und ich denke, der junge Gutenberg hätte heute gute Ideen für ein oder zwei Start-ups.

Wie passen Beharrlichkeit in den Redaktionen auf der einen und die technologische Disruption durch das Web auf der anderen Seite zusammen?
Naja, man könnte jetzt darüber spekulieren, ob es überhaupt Geschäftsmodelle oder Gruppen von Unternehmern gibt, die über Generationen hinweg innovationsfreudig geblieben sind. Das ist aber eine sehr grundsätzliche Diskussion, da müsste man schon philosophisch oder psychologisch werden. Wir alle lieben es ja, wenn wir im Laufe unseres Lebens in so etwas wie den Flow kommen. Damit meine ich: Ich fühle mich in dem, was ich tue, total sicher. Ich habe die Mechanismen und Automatiken gelernt und ich kann den Energieaufwand langsam reduzieren, weil ich mich gut fühle.

Wie kann der „Flow“ den Journalisten helfen?
Ich glaube, dass sich jeder einen Flow wünscht. Journalisten und andere Berufsgruppen kommen damit jedoch schnell an Grenzen, wenn Veränderung ins Haus steht. Journalisten meiner Generation sind in Zeitungshäusern sozialisiert worden: Wir machen ein gutes Blatt und erreichen viele Menschen. Zusammen mit den Skandinaviern machen wir die besten Regionalzeitungen der Welt. Aber genau das wurde zu unserem Problem, denn plötzlich kommen Menschen und predigen die 360-Grad-Multimedia-Story. Dafür gibt es keinen Flow und noch keine Routinen. Und wenn ich über 40 bin, fällt es natürlich schwer, die alten Routinen zu verlassen und zu sagen: Ich fange noch mal etwas völlig neues an.

Hatten Sie in Ihrer Karriere auch mal ein solches Gefühl des fehlenden Flows?
Ich erinnere mich an meine ersten Jahre bei dpa. 1989 habe ich als Deutschland-Korrespondent für die dpa-Fremdsprachen-Dienste den Mauerfall und den Prozess der Wiedervereinigung begleitet. Als eine Art Auslandskorrespondent im eigenen Land. In der Zeit war ich verantwortlich dafür, den Nutzern der englischen, spanischen und arabischen dpa-Dienste zu erklären, was Tag für Tag passiert. Und da bin ich wirklich an meine Grenzen gekommen. Menschen in Indien oder Mexiko im Nachrichtentakt den rapiden Zusammenbruch eines Staates zu erklären, obwohl man selbst kaum mit dem Geschehen Schritt halten kann, ist eine Herausforderung. Meine gewohnte Agenturroutine war dem nicht gewachsen.

„Der aktuelle Datenjournalismus ist noch nicht das, was wir brauchen. Vieles davon ist mir viel zu kopfgesteuert und wir finden es als Experten toll. Aber wenn man die User ran lässt, stellt man fest, dass sie damit völlig überfordert sind.“

Muss der Flow für Journalisten heute um Programmierkenntnisse erweitert werden?
Ich bin mir nicht mal sicher, ob wir vom journalistischen Nachwuchs erwarten sollten, dass jeder programmieren kann. Für den Anfang reichen ja schon ein wenig Begeisterung für die neuen Möglichkeiten und eine gewisse Anwenderkompetenz bei den neuen digitalen Werkzeugen. Etwa zu wissen, wie mit Excel Daten visualisiert werden können. Um jedoch das 360-Grad-Storytelling zu verwirklichen, brauchen wir Spezialisten und Generalisten. Wie die Profile genau aussehen, versuchen wir alle derzeit herauszufinden. Bei einigen Zeitungen wie zum Beispiel der Neuen Osnabrücker Zeitung, krempeln die Chefredakteure gerade das Volontariat komplett um, um eben jenen Nachwuchs heranzuziehen. Zwar kümmern sich auch Hochschulen und Journalistenakademien um diese Frage, aber noch gibt es kein Patentrezept.

Es scheint, als würden in der journalistischen Ausbildung ebenfalls Trendwellen durchlaufen. Vor fünf Jahren war der Video-Journalist en vogue, heute sind es die Datenjournalisten. Wie sähe Ihr Ausbildungskonzept aus?
Wenn ich vom 360-Grad-Journalisten ausgehe, denke ich schnell an Vertikalisierung. Da sind nach wie vor – wenn auch in geringerem Umfang – Text und Sprache wichtig. Dazu kommen neue Themen wie Visualisierung, Video, Foto. Ich glaube, der aktuelle Datenjournalismus ist noch nicht das, was wir brauchen. Vieles davon ist mir viel zu kopfgesteuert und wir finden es als Experten toll. Aber wenn man dann die User ran lässt, stellt man fest, dass sie damit völlig überfordert sind. Da ist also noch ganz viel Entwicklungspotenzial.

Ein alter Bekannter von Ihnen hat kürzlich in den USA nach der Zukunft des Journalismus geforscht. Wie war es denn, mit Kai Diekmann in einer WG zu leben?
Wir sind gut miteinander ausgekommen. Kai Diekmann war schon damals ein Mensch, der für eine gute Story oder für ein gutes Thema brannte. Unser investigatives Highlight war eine Reportage für die Truppenzeitschrift „Heer“. Damals haben viele Soldaten auf dem Weg ins Wochenende die Züge auseinandergenommen und wir haben – damals selbst Wehrpflichtige – aus genau dieser Sicht berichtet. Das ging so weit, dass die Story in den Mantelteil und später auch in die Publikationen von Luftwaffe und Marine übernommen wurde. Das hat uns damals schon viel Spaß gemacht. Diesen investigativen Impuls, die Leidenschaft für eine gute Story, das teilen wir bis heute.

Wie muss man sich das WG-Leben denn vorstellen? Wurde nachts lange diskutiert und der journalistische Masterplan ausgeheckt?
Naja, so lange haben wir nicht in Münster in der WG gewohnt, das waren nur drei bis vier Monate. Aber richtig ist, dass wir natürlich viel über Journalismus diskutiert und auch schon gemerkt haben, wer welche Richtung einschlägt. Wie gesagt, wir teilten die Leidenschaft für die Story und guten Journalismus, aber in unterschiedlichen Ausprägungen. Kai Diekmann ist dann ja Volontär bei der BamS geworden, ich hatte mich schon bei der dpa beworben.

Wenn wir zurück in die Gegenwart gehen: Aktuell entstehen viele neue journalistische Angebote, die sich jedoch um besondere Nischen kümmern. Liegt das Heil für große Verlage und Zeitungsmarken darin, kleinteiliger zu werden?
Das ist sicherlich ein Trend, mit dem sich viele Medienhäuser noch intensiver beschäftigen sollten. Bisher kennen wir ja die eher horizontale Bearbeitung von Themen. Das Web hat jedoch den Trend zur Vertikalisierung extrem beschleunigt und auch gezeigt, dass man damit Erfolg haben kann. Vox Media in Washington hat mit „SB Nation“ beispielsweise einen tollen Sportservice geschaffen. Dort berichten Experten, die schreiben können – keine Journalisten! – mit stark individueller Färbung über Clubs im Baseball und Football. Damit konnte sich das Portal schnell einen Namen machen und ist auch wirtschaftlich ganz erfolgreich.

„Es ist gar keine große Technologiekompetenz mehr notwendig. Inzwischen schleichen sich die neuen Möglichkeiten einfach so unbewusst in den Alltag ein.“

Ist das auch Ihr Rezept, um den Journalismus im digitalen Zeitalter profitabel und unabhängig zu gestalten?
Wenn ich diesem Pfad der Vertikalisierung folge und ihn mit Bloggern vergleiche, die versuchen, mit ihren Mitteln die Vertikalisierung abzubilden und damit in Konkurrenz zu den Medienhäusern treten, haben wir immer das Problem, dass die aktuellen Konzepte in der Monetarisierung schwächeln. Eine Lösung wäre, für Marken und Unternehmen neue Werbemöglichkeiten zu schaffen. Die Vertikalisierung, der konsequente Aufbau von ‚Communities of Interest’, schafft durch die neuen technischen Möglichkeiten nämlich sowohl mehr Relevanz und Zielgenauigkeit für die Nutzer, wie auch für die Werbe- und Anzeigenpartner.

Wie soll diese Vertikalisierung konkret funktionieren?
Da geht es wieder um die Frage, wie und wo wir den Nachwuchs ausbilden wollen, der die neuen digitalen Konzepte monetarisiert. Dabei sind zwei Aspekte zu beachten: Wo nimmt man die technologische Seite her, die Entwickler, die sich an der Stelle mit journalistisch-inhaltlich getriebenen Gründern zusammentun um dann etwas Neues zu machen? Und wo treffen diese Leute dann jene, die das betriebswirtschaftliche und kaufmännische Know-how mitbringen? Ich habe das Gefühl, in diesem Zusammenhang fehlt uns noch ganz viel.

Sind Sie in Ihrem Alltag von der Digitalisierung voll erfasst?
Naja, ich muss zugeben dass auch ich permanent an der E-Mail hänge. Wenn ich aber ein bisschen Zeit habe, schätze und liebe ich nach wie vor Twitter. Das entspricht eigentlich unter allen sozialen Tools immer noch am meisten meiner Art mich zu informieren und zu kommunizieren…

…auch zu recherchieren?
Das muss ich ja in meinem Alltag nicht mehr allzu häufig machen; ich recherchiere relativ wenig journalistisch. Anders sieht es aus, wenn es um Trends und ähnliche Dinge geht. Ich folge natürlich vielen wichtigen Trendsettern, gerade in den USA, sodass ich tatsächlich das Gefühl habe, ich verpasse nichts Wichtiges. Facebook hat diese Qualität bislang noch nicht. Das ist sozusagen die Routine. Klar, alles was so an Apps auf dem iPhone oder iPad läuft, probiert man natürlich auch aus. Da bleiben dann Sachen hängen von denen man das Gefühl hat, dass sie gut sind.

Was sind Ihrer Auffassung nach gute, sprich: dauerhaft funktionierende Beispiele?
Meine Familie kommuniziert fast nur noch über WhatsApp. Vor knapp drei Wochen kam mein Sohn und fragte: „Habt ihr schon mal Quizduell ausprobiert?“ Im Moment müssen wir also ständig Quizduell spielen. Das meine ich: Es ist bei solchen Tools gar keine große Technologiekompetenz mehr notwendig. Inzwischen schleichen sich die neuen Möglichkeiten einfach so unbewusst in den Alltag ein. Auch in den professionellen Alltag, so dass man gar nicht mehr anders kann als ständig wieder Neues auszuprobieren. Nach einer Weile verlieren diese Dinge dann an Relevanz, andere setzen sich durch und bleiben.

Zur Person

Meinolf Ellers, geboren am 13.10.1961, begann seine Karriere als freier Journalist und wechselte nach einem Zeitungsvolontariat zur dpa-Gruppe. Seit 2000 ist er Geschäftsführer von dpa-infocom in Hamburg und kümmert sich um technische Lösungen für seine Kunden. Darüber hinaus organisiert Ellers gemeinsam mit der Standortinitiative Hamburg@work das jährliche Scoopcamp, eine Innovationskonferenz für Onlinemedien. Als Kopf des „Next Media“-Think-Tank, der von der Senatskanzlei und des Amtes Medien unter dem Regierenden Bürgermeister geleitet wird, engagiert er sich außerdem für das Thema „New Storytelling“.

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