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Ruth Minola – Lebendiges Entschleunigen

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Von Frederick Fischer – über Ruth Minola. Wir stehen über dem großen Fußbodenmosaik, auf dem Bill Clinton mit Gerhard Schröder und anderen G8-Regierungschefs 1999 zu Abend aß. Eine Acrylglasplatte schützte damals das Kunstwerk, das aus 1,5 Millionen kleinen Glas-, Natursteinen und Tonplättchen besteht.

Meine Begleitung, Ruth Minola, eine ausgebildete Mosaizistin, zeigt auf die schwarzen, ineinander verschlungenen Linien zwischen den einzelnen Szenen, auf die regelmäßigen Strukturen hinter den nackten Körpern, auf das reflektierende Grün im Fell des Jaguars und auf den Schatten der Ente.
Ruth Minola
Sie erzählt, worauf man achten muss beim Mosaik legen, wie viele kleine Entscheidungen zu treffen sind und wie groß der Einfluss des Materials ist. Sie demonstriert mit ihren Händen, wie ein Stapel von kleinen Steinen mit der präzisen, repetitiven und doch nicht immer gleichen Bewegung auf dem Boden zu einem Bild zusammengefügt wird – heute kaum anders als in der Antike. “Es geht viel um Rhythmus. Das ist eine Art von Meditation. Man kommt in einen Zustand, in dem man alles andere vergisst.” sagt sie. Und doch liegt ihr nichts ferner, als ihre Arbeit mit einem kontemplativen Hobby zu vergleichen. Braucht man Geduld? “Nein, da zählt jede Sekunde. Auf gute Vorbereitung, intelligente Teamarbeit kommt es an.” Ruth Minola

Im frühzeitlichen Mesopotamien wurden bereits Säulen mit verschieden farbigen Flusssteinen verziert. Doch zur ersten Blüte gelangte die Kunst im alten Rom, auch in Köln, der Stadt, die aus jenem speziellen Amalgam von Germanen und Römern entstand. Vor vielleicht 1700 Jahren beauftragte ein römischer Hausbesitzer Spezialisten mit der Dekoration des Fußbodens im Wohnzimmer seines Kölner Hauses. Die Entstehung des 70 Quadratmeter großen Dionysosmosaiks war – wie im römischen Reich üblich – arbeitsteilig organisiert. Der Pictor Imaginarius entwickelte die Idee und entwarf das große Ganze. Eine andere Person sorgte für die Umsetzung des Entwurfes als Mosaik. Eine eher technische Aufgabe? “Der Pictor Musivarius war der wirkliche Künstler.”, sagt Ruth Minola. Beruf? Handwerk? Kunst? Eine Verortung fällt der 32-jährigen “Maestra Mosaicista” selbst nicht leicht. Zuerst übersetzt sie ihren Titel mit „Mosaikkünstlerin“, um sich direkt zu korrigieren und das „Künstlerin“ durch „Legerin“ zu ersetzen.

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Während ihrer Ausbildung lebte Ruth im italienischen Spilimbergo bei Udine, um dort den sperrigen Hammer der Mosaizisten beherrschen zu lernen. Von 2000 bis 2003 lernte sie an der „Scuola Mosaicisti del Fruli“ neben den grundlegenden Techniken und den jeweiligen Besonderheiten der romanischen, byzantinischen und modernen Mosaikkunst auch nützliches Wissen in Fächern wie Materialkunde, Terrazzo und Projektentwicklung. Seitdem arbeitet sie immer wieder für ein bis zwei Wochen in Frankreich und Italien an der Restaurierung Jahrhunderte alter Mosaike, hatte zwischenzeitlich eine kleine Werkstatt in Venedig. Seit 2008 lebt sie in Köln. Nach wie vor arbeitet sie immer wieder im Ausland an der Restaurierung historischer Mosaike mit. Doch sie hat ihr Spektrum erweitert. Sie fertigt aus kleinen Glas- und Tonsteinchen, aus spiegelnden Plättchen und Kieseln eigene Kunstwerke – einen bunt schillernden Ara Macao mit 1,80 Metern breiten ausgebreiteten Schwingen etwa, kleine Bienen, eine Serie von Augen, Porträts von Popstars, Freunden und Auftraggebern. Ihre zweidimensionalen Mosaike bilden dreidimensionale Motive ab. Das Motiv wird auf Papier kopiert.

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Um die Schattierungen des Originals auf das Mosaik zu übertragen, wird die Vorlage in kleine Felder unterteilt, die den Farbwerten entsprechend nummeriert. Dann bestreicht sie die Felder mit eingefärbtem Kleber und bestückt die Vorlage nach und nach mit kleinen Steinchen, die sie zuvor mit dem speziellen Hammer zurecht gehauen hat. Neben den Umrissen der einzelnen Steine spielen vor allem die Farbschattierungen eine entscheidende Rolle.



Ruth Minola steht vor einem Regal. In zahllosen Kisten lagern hier Steine, Glasplatten, Spiegelscherben und anderes Material. “Die Faszination liegt darin, aus kleinen Teilen etwas Großes zu schaffen”, sagt Ruth und erläutert den künstlerischen Prozess anhand einer Serie von Kindergesichtern in ihrem Atelier. Obwohl die Porträts auf derselben Vorlage gearbeitet wurden, trifft den Betrachter eines eher in Blautönen gehaltenen Gesichtes ein durchdringender, beinah böser Blick, während eine in Grüntönen gehaltene Version freundlich drein schaut. „Ich weiß nie genau, wie es am Ende wirkt. Bei dem blauen Gesicht ist ein Stein unter dem Auge dunkler und schon wirkt das ganz anders“, sagt Ruth. Weil sich die Steine minimal in Größe, Form und Schattierung unterscheiden, wird jedes Mosaik, auch bei gleicher Vorlage, zum Unikat. „Danach suche ich, nach diesen Einzelheiten“, sagt sie, “weil das oft Zufall ist und ich das nicht endgültig steuern kann. Ich will dann wissen, wie das zustande kommt, dass die Mimik zum Beispiel plötzlich anders ist.“ Aber sie gestaltet auch Balkone, Fußböden, Badezimmer. “Bei den Auftragsarbeiten geht es mir um den Prozess. Für meine eigenen Sachen habe ich einen größeren kreativen Anspruch. Ich kann mit den Techniken und Materialien des Mosaiks Dinge ausdrücken, die ich mit nichts anderem hin kriegen würde”, sagt sie. In wenigen Tagen wird Ruth nach Ravenna aufbrechen. Sie trifft sich dort mit Mosaikkünstlern aus der ganzen Welt. Der regelmäßige Austausch ist wichtig für sie. Die Frage, was Kunst was Kunsthandwerk ist, stellen sich viele ihrer Kollegen.

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Ruth Minola

In der Geschichte der Mosaiklegerei, gab es mehrmals den Punkt, an dem sie als reines Handwerk galt, das nicht nur für dekorative Zwecke eingesetzt wurde. Marc Chagall oder Henri Matisse ließen ihre Gemälde so exakt wie möglich auf Mosaike übertragen. “Die wollten ihre Malerei verewigen”, sagt Ruth. „Seit den 1920er Jahren erlebe das Kunsthandwerk aber erneut eine Renaissance“, so Ruth Minola. Sie sieht im Mosaiklegen eine eigenständige künstlerische Disziplin. Sie vergleicht das Vorgehen mit dem Pointilismus in der Malerei. Auch hier ist der Inhalt der Darstellung durch ihre Form beschränkt: Pinseltupfer formen das Bild. “Mir hilft das, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und die Liebe zum Material spielt zusätzlich eine Rolle”, sagt Ruth.

Das Material regiert die Entstehung eines Mosaiks mit

Ruth Minola

Die Steine riechen, manche nach Schwefel. Andere haben farbige Adern oder Kristalleinschlüsse, die sich erst zeigen, wenn sie den Stein teilt. Manchmal stecken nach der Arbeit Splitter in ihren Fingern. Sie schätzt die Materialität und die Auseinandersetzung mit Stein und Glas. “Das ist meine Technik”, sagt Ruth. Sie glaubt, dass das künstlerische Potenzial ihres Kunsthandwerks sich trotz tausendjähriger Geschichte zurzeit entscheidend weiterentwickeln wird.

Mit ehemaligen Mitschülern der Scuola Mosaicisti hat sie die Gruppe Mosaizm gegründet. Der Name verweise auf eine Lebenseinstellung, heißt es auf der Webseite. Mosaizm feiere das Mosaik in all seinen Formen. Die Gruppe sieht sich als eine “neue Generation von Mosaizisten”, die die Tradition respektiert und nach Innovationen strebt, mit dem Ziel, eine eigene Kunstform zu etablieren. Ruth orientiert sich an Vorbildern in der ganzen Welt. Die Iranerin Monir Shahroudy Farmanfarmaian, geboren 1924, gehört zu ihren Heldinnen. Sie entwirft abstrakte Welten mit ihren Mosaiken und nimmt immer wieder Bezug auf die reichhaltige Vergangenheit der Kunstform. Zahlreiche Gruppen arbeiten wie Mosaizm daran, das Mosaik als Kunstform zu etablieren. Auch gesellschaftskritische Ansätze lassen sich mit Mosaiken transportieren. Nicht selten dient die Beziehung zwischen Teil und Ganzem im Mosaik als Metapher für soziale Verhältnisse und Dynamiken. Und Mosaike finden ihren Platz inzwischen auch auf internationalen Kunstmessen wie der Art Basel. So etwa die Werke von Federico Uribe, der Stifte für seine Mosaike verwendet. Oder der US-Amerikaner Duke Riley, der in seinen Mosaiken vor der Landschaft des nordamerikanischen Mittleren Westens den heutigen Zustand seines Landes aufs Korn nimmt. Oder Sarah Frost, die ihre Mosaike aus schwarzen, verschieden weißen und bunten Tasten von Computertastaturen herstellt.

Ruth erzählt im Foyer des Römisch-Germanischen Museums von ihrem aktuellen Projekt. Dreidimensionale mit Spiegelsteinen überzogene Objekte will sie mit Präzisionslampen bestrahlen, in einem abgedunkelten Raum. “Das Licht wird von den Steinen reflektiert, auf die Wände, Decke und Boden und auf die Besucher. Das Mosaik wird quasi in die Umgebung projiziert”, erläutert sie. Lichtreflexe, Spiegelsteine, Marmor, Kiesel, Tiffanyglas und Computertasten – man darf gespannt sein auf die Zukunft dieser Jahrtausende alten Kunst.

 

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