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Wie kommt die Musik in die Gesellschaft?

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Eigentlich wollte Michael Kobold beim Amtsantritt versuchen seine Kollegen nicht bei der Arbeit zu stören. Glücklicherweise hatte er es anders überlegt

Von Olaf Weiden -Als Michael Kobold seinen Job an der Rheinischen Musikhochschule antrat, war einiges los auf den Kölner Straßen. Es war Weiberfastnacht. Aber dem frisch berufenen Direktor des ehrwürdigen Musikbetriebes war nicht wirklich zum Feiern zumute. Kobold: „Die finanzielle Situation war 1996 eine bedrohliche. Es ging um Gelder, die uns zustanden, die aber nicht eingezogen wurden. Das war kompliziert. Wir haben es gelöst. Das Team ließ Taten sprechen, mehr Worte müssen auch jetzt nach zwanzig Jahren nicht verloren werden. Es gibt wichtigere Dinge.“

Wer im Flur des heutigen Schulgebäudes vor dem Direktorenzimmer die würdige Versammlung ehemaliger Schulleiter abschreitet, der kommt schon bei geringem musikhistorischen Interesse aus dem Staunen nicht mehr heraus. Eine gar prächtige Sammlung von berühmten Musikern, Komponisten und Musikwissenschaftlern ist hier versammelt, das passt nicht in das Bild einer normalen Musikschule. Das liegt an der einzigartigen Entwicklung vom einstigen Konservatorium zur Aufteilung der Aufgaben zwischen Rheinischer Musikschule und Musikhochschule. Das trug und trägt bis heute Früchte im Personalbestand der Schule, immerhin unterrichteten hier in den 70/80iger Jahren noch echte Jazzikonen z.B. im Jazzbereich. „Mit dem Jazz waren wir vor den Hochschulen mit dem Beginn der Jazzausbildung“, weiß Kobold aus der Geschichte des Hauses zu berichten, „Karel Krautgartner, Kurt Edelhagen, dann kam Jiggs Wigham, heute macht das Michael Villmow.“ Und der macht das prächtig. Wer einmal im Bogen, einer der aktuellen Szenebühnen für die Big Band der Rheinischen Musikschule ein Konzert mit diesem Ensemble erlebt hat, weiß, dass hier die richtige Mischung aus fachlicher Kompetenz und Begeisterung der Laienmusiker gewählt wird. Hinzu kommen die ständige Durchmischung mit ehemaligen Schülern, die jetzt professionelle Promis für Jazzfans sind, und die freundschaftliche, manchmal sogar familiäre Nähe der Musiker im Ensemble: Villmows Sohn sitzt in dieser Band am Schlagzeug.



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Michael Kobold hinterlässt ein top besetztes Kollegium: „Wir sind sehr gut aufgestellt mit den Leuten, die hier unterrichten. Die hier lehren, können auch – heute würde man sagen – mit hoher künstlerischer Exzellenz konzertieren; das ist tatsächlich so. Viele besitzen auch noch einen optimalen musikwissenschaftlichen Hintergrund, in dem sie publizieren oder an der Hochschule unterrichten.“

Als Kobold bei Amtsantritt gefragt wurde, was er als Wichtigstes jetzt angehen wolle, antwortete er sinngemäß, er wolle versuchen, die Kollegen nicht bei der Arbeit zu stören! Das klingt wie höchste Diplomatie. Kobold:

„Das höchste Gut einer Musikschule sind diejenigen, die dort unterrichten. Und das ist an dieser Schule toll. Viele waren hier früher selbst Schüler, sind heute gestandene Persönlichkeiten in der Musik. Der selbst gewählte Anspruch – das, was man am besten kann, auch am besten zu tun, ist ein wichtiger Kern der Ausbildung.“

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Das reichlich anspruchsvolles Personal vorhanden ist, resultiert auch aus einem Paradigmenwechsel unter den Musikstudenten. Kobold hat selbst 15 Jahre einen Lehrauftrag erfüllt. Er kann die Zeichen lesen. Kobold: „Die Einstellung zur Musikschule hat sich deutlich geändert. Früher trafen sich zwei und sagten, machst du Musik oder musst du unterrichten?

Heute stellen sich alle so auf, dass ein Teil zur künstlerischen Verwirklichung geleistet wird, ein Teil auf Pädagogik, teilweise auch auf musikwissenschaftliche Themen und Musikvermittlung im Allgemeinen abgestimmt wird. Die Studenten wissen heute, dass ihr Platz im Orchester nicht mehr reserviert ist. Viele möchten an der Rheinischen unterrichten.“

Es ist schön, wenn die geweckte Begeisterung für die Musik dazu ausreicht, auch einen Berufswunsch zu initiieren. Das ist aber gar nicht Ziel des Musikunterrichts dieser Institution. Kobold: „Hier kann eine Ausbildungsschiene entstehen, die nicht als Ziel hat, Wunderkinder zu produzieren, sondern die zum Ziel hat, eine musikalische Bildung als Prozess zu begreifen, der ein Leben lang Wirkung hinterlässt.“ Die Wirkung von kulturellem Engagement wird ja in den letzten Jahren erst wieder wertgeschätzt. Die breite Streuung von Musikinteressierten beeindruckt auch in Zahlen. Von 9000 Schülern der Rheinischen Musikschule bereiten sich nur 25 auf ein Hochschulstudium vor. Trotz Eignung werden dann am Ende oft andere Berufswege gewählt. Kobold beschreibt das Prozedere des Musikerwerdens so: „Derjenige, der Musik studiert, sagt in der Regel: Ich muss das. Punkt. Derjenige, der sich die Frage stellt, sollte ich oder nicht, muss es offensichtlich nicht, pflegt es dann aber in bestimmten Liebhaberorchestern, was ja gar nicht schlecht ist, geht in klassische Konzerte und bereichert das kulturelle Leben. Und er bringt in seinen Berufsalltag eine kulturelle Kompetenz mit, die nicht zu unterschätzen ist.“ Dieser Umstand liegt nicht gleich auf der Hand, darf aber hoch eingeschätzt werden.

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Wer an der Rheinischen Musikschule unterrichtet wird, muss also nicht gleich die Profilaufbahn im Ohr haben.

Das war vor Jahrzehnten – wegen des unwahrscheinlichen Dozentenpotentials – mal anders. Kobold stellt Fragen auch auf der Metaebene: Was ist eigentlich Qualität? Oder ganz konkret: Was sind die Ziele von Unterricht? Und manchmal findet er Antworten. Kobold: „Wir haben jetzt seit dem Jahr 2000 den Kreis in Köln schließen können unter der Fragestellung: Wie kommt eigentlich die Musik in die Gesellschaft? Wir haben über Kitas den Schwerpunkt Musik, Grundschulen und Realschulen mit Schwerpunkt Musik, Gesamtschule Rodenkirchen, ein zweites Gymnasium in Porz usw.“ Credo bleibt: Die Musikschule ist für alle offen, und nicht nur für wenige. Echte Talente lassen sich sowieso nicht verhindern. Kobold hat das anders gelernt: „Ich komme ja aus Weimar, und da war das so, dass man einen Eignungstest machen musste. Und ab zehn musste man schon sehr gut sein, um überhaupt angenommen zu werden – vor der Schule wurde also schon gesiebt. Das haben wir Gott sei Dank hier nicht.“


Musikmesse 2013.
Wertigkeit, Qualität, Anforderungen:
Perspektiven der Musikschularbeit

Viele Musikschulen beschäftigen Honorarkräfte statt festangestellter Lehrkräfte, Musikschullehrer mutieren zu Allroundern, die Elementarpädagogik genauso leisten sollen wie Gruppenunterricht an allgemeinbildenden Schulen oder das Musizieren im Alter oder mit Menschen mit Behinderung – kurzum: die Anforderungen an Instrumentalpädagogen steigen immer weiter. Über die Perspektiven der Musikschularbeit aus einem wirtschaftlichen Blickwinkel, aber auch unter dem Aspekt der Werterhaltung und Qualität sprechen Theo Geißler und seine Gäste Petra Stalz-Tombeil (ver.di), Michael Kobold (Verband deutscher Musikschulen), Christian Höppner (Deutscher Musikrat) und Winfried Richter (Verband deutscher Musikschulen).

Musikmesse 2013. Wertigkeit, Qualität, Anforderungen: Perspektiven der Musikschularbeit from nmzMedia on Vimeo.

Ein Bericht von nmz-Media


Das hält er auch für das Hauptverdienst der Aktion „Jedem Kind ein Instrument“, die ja im Ruhrgebiet angewendet wurde. „Die Aktion hat das Bewusstsein verändert“, meint er „Musik wird als selbstverständliches Gut betrachtet.“ JeKi nennt der Profi diese politische Werbeaktion, das assoziiert gleich, dass diese Aktion wie das berühmte Yeti nicht viele selbst erleben dürfen. Kobold ohne Gram: „Da ist die Rheinische Musikschule nicht involviert, das ist ja auch mit einem unheimlichen Finanzaufwand verbunden. Wir könnten das rein personell nicht stemmen. Aber wir haben immerhin vergleichbare Musikalisierungsprojekte an den Schulen realisiert.

„Nicht nur der Wunsch,auch die Wirklichkeit muss finanzierbar sein.“

Für seine Aktionen hat Kobold rund 35.000 € eingesammelt als Spenden, auch das macht der Direktor gerne. Für die Kids, und Kobold hat selbst einige groß gezogen, ist kein Euro verschwendet. Er schwärmt: „Diese Kinder erleben durch die Musik eine andere Lebenswirklichkeit, als sie das in ihrem familiären Umfeld sonst erleben können. Sie kommen mit Musik in Berührung, sie erfahren Anerkennung und lernen wichtige Dinge fürs Leben.“ Rund 450 Kinder erreichen sie dabei in den Grundschulen. Alle haben ein gewisses Grundrepertoire, ohne dass die Individualität bestimmter Aktionen behindert wird. Aber die Aktion kann als ein Gemeinsames wahrnehmbar gemacht werden.

So geschehen im historischen Rathaus. „Wir haben eine Präsentation im Rathaus gestartet, da wussten teilweise die Kinder gar nicht, dass es in Köln ein Rathaus gibt. 350 Kinder haben gemeinsam vier Stücke gesungen, mit aller Hingabe und Begeisterung – das war ein anrührendes Erlebnis.“

Dass die Nachfrage nach dieser Institution wächst, lässt sich an der einfachen Tatsache ablesen, das rund 1000 Anmeldungen auf der Warteliste ruhen. Trotz der 138 festen und 171 freien Dozenten – mehr geht nicht. Da drängt sich natürlich die Frage auf, warum eine so erfolgreiche Institution in einem so improvisiert wirkenden Gebäude residieren muss – ohne über Jahre gärende und lebhaft in der Presse diskutierte Umzugspläne anzusprechen. Kobold: „Der Wille der Kommune, sich für Kultur einzusetzen, ist nicht überall gleich. Im Bundesvorstand des Verbandes deutscher Musikschulen komme ich viel herum. In Schwerin z.B. erlebe ich überall, welche Bedeutung Kultur hat. Gehen sie nach Düsseldorf, Neuss oder Bonn, oder nach Viersen, da ist direkt angeschlossen der Konzertsaal der Stadt, die Türen stehen offen, da ist Musik natürlich anders erlebbar. Und die sind alle stolz darauf. Da wünscht man sich manchmal, dass auch hier Stolz in aktives Handeln umgesetzt würde. Einer Bildungseinrichtung entspricht unser Haus in keinem Fall. Wenn das eine Wertschätzung ist … das kann es nicht sein.“ Kobold mit Blick auf das spartanische 50iger-Jahre Interieur seines Direktionsbüros: „Und das ist milde ausgedrückt.“

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