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Upgrade für Schwimmbäder

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„Die Bedürfnisse der Schwimmbadbesucher haben sich heute grundlegend gewandelt“ – VON MICHAELE GARTZ – Wer früher ins Schwimmbad ging, tat das vor allem aus einem Grund: Er wollte schwimmen. Heute reicht der funktionale Schwimmbad-Charme der 60er Jahre nicht mehr aus, um Besucher anzulocken.

Wer heute ein Schwimmbad betritt, erhält das Verspechen, einen Tag voller Spaß zu erleben. Wie kaum ein anderes Land in Europa hat Deutschland in den 1960er Jahren in den Breitensport investiert. Der Goldene Plan zum Abbau des Sportstättenmangels machte es möglich. Die Eröffnung neuer Frei- und Hallenbäder war ausdrücklich erwünscht und wurde gefördert: Bis zu 80 Prozent der Kosten für den Betrieb eines Schwimmbads übernahm das Land. Die Gemeinde trug nur 20 Prozent.

Dieser Plan ging lange auf: Insgesamt 7040 öffentliche Frei- und Hallenbäder gibt es nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen in Deutschland. Lange Zeit galt das als Segen. Durch die großzügige finanzielle Förderung konnte sich nahezu jede Stadt oder Gemeinde ein eigenes Schwimmbad leisten. Mittlerweile erweist sich das jedoch als Fluch: Ein Großteil der ehemaligen Gemeindeattraktionen ist heute sanierungsbedürftig. Und die Staatskassen sind leer.

schwim1Dazu kommt: Die Bedürfnisse der Schwimmbadbesucher haben sich grundlegend gewandelt. Wer früher ins Schwimmbad ging, tat das, um im 25- oder 50-Meter-Becken seine Bahnen zu ziehen. Allenfalls frisch gebackenen Eltern wurde es nachgesehen, wenn sie sich mit ihrem Nachwuchs im Nichtschwimmer-Becken aufhielten – natürlich nur, um den Kleinen das Schwimmen beizubringen.

Schwimmbäder sind wie Freizeitparks

Ein Schwimmbad aufzusuchen um zu schwimmen – das ist längst Vergangenheit. Spätestens seit dem Aufkommen der ersten Wellness-Trends in den 1990er Jahren sowie der Eröffnung der ersten privaten Bäder mit Karibikfeeling bedeutet der Besuch eines Schwimmbads deutlich mehr: Wer heute ins Schwimmbad geht, will vielleicht schwimmen. Oder er will sich für einen Tag das Urlaubsfeeling zurückholen, das er beim letzten Mallorca-Urlaub gehabt hat. Oder er will Freunde in einer entspannten Atmosphäre treffen. Oder er will seinen Kindern ein Abenteuer jenseits des Kinderspielplatzes bieten. Diese „oder“ bestimmen, wie heute ein Schwimmbad auszusehen hat, das den Bedürfnissen der Besucher gerecht wird. „Öffentliche Bäder sind heute wie Freizeitparks“, erklärt der Architekt August Schaefer des Kölner Architekturbüros Mronz + Schaefer, das das Konzept für die Neugestaltung des Zollstockbads in Köln entworfen hat. „Und in einen Freizeitpark gehen Besucher, um Spaß zu haben und mit der Familie einen schönen Tag zu verbringen.“

Zollstockbad: Familienfreundlichkeit als Konzept

Im Zollstockbad ist das jetzt möglich. Seit der Neueröffnung im Jahr 2012 präsentiert sich das Bad nicht nur in einem vollkommen neuen Design, sondern bietet auch als besondere Attraktion ein Vierjahreszeitenbecken mit Wasserfall und Bodensprudel. Dazu kommt: Mit dem Umbau wurde das Bad deutlich familienfreundlicher gestaltet: Der Kinderbereich wurde erweitert, auch die Außenanlagen bieten zahlreiche Attraktionen für Kinder, darunter eine Wasserrutsche und einen Sand-Wasser-Spielplatz, sowie eine auf Kinderwünsche abgestimmte Gastronomie.
Das öffentliche Schwimmbad als Familiensauflugsziel mit Spaßfaktor: Sieht so das Konzept der Zukunft aus? Die Antwort lautet: ja und nein. Im Falle des Zollstockbads ist es gelungen, weil die KölnBäder GmbH als Betreiber von vornherein auf junge Familien als Zielgruppe gesetzt hat. Denn die sind im direkten Umfeld des Schwimmbads reichlich vorhanden. Dafür wurde auf den ursprünglich vorhandenen Saunabetrieb verzichtet, den vor allem die Generation 35 plus genutzt hatte. Die muss jetzt auf das Agrippabad ausweichen. Des einen Freud’ ist des anderen Leid, heißt es. Auch die öffentlichen Schwimmbäder trifft mit voller Wucht die demografische Entwicklung in Deutschland. Denn der Wunsch nach Spaß und Familienkompatibilität ist nur einer von vielen, die heute an ein Schwimmbad herangetragen werden. Die stetig wachsende Zahl älterer Menschen, die noch im hohen Alter sportlich aktiv sind, wünscht sich von einem Schwimmbad häufig nur eins: darin schwimmen zu können, und zwar ohne auf den Schwimmnachwuchs achten zu müssen. Und das ist noch lange nicht das Ende der Wunschliste: Der Badbetreiber muss sich zudem an der Sportförderung orientieren, denn die ist schließlich im Gesetz verankert.

Viele Wünsche, leere Kassen

schwim2Angesichts der finanziellen Misere können sich viele Städte und Gemeinden nicht einmal mehr die Sanierung ihrer Schwimmbäder leisten. Zwischen den Jahren 2002 und 2012 wurden insgesamt 1100 Bäder in Deutschland geschlossen. Viele Gemeinden würden gern anders entscheiden, können aber aufgrund der maroden Haushaltssituation nicht anders. Die Sportförderung ist zwar im Gesetz verankert, allerdings ist der Betrieb eines Schwimmbads freiwillig. Und anders als zu Beginn der Schwimmbad-Ära in den 1960er Jahren gilt eine öffentliche Badeanstalt nicht mehr als Inbegriff der Innovation. Längst haben viele Jugendliche für sich neue Trendsportarten entdeckt, mit denen die Schwimmbäder heute konkurrieren.

Der Gedanke, sein Schwimmbad an den Wünschen einer sich im Wandel befindlichen Gesellschaft zu orientieren, erscheint daher vielen als purer Luxus – stehen doch bei einer notwendigen Sanierung die energietechnischen und baulichen Maßnahmen deutlich im Fokus. Und doch gibt es Badbetreiber, die sich dieser Herausforderung stellen. Auch das Zollstockbad hätte geschlossen oder einfach nur saniert werden können. Die KölnBäder GmbH entschied sich anders. „Wir hatten den Auftrag, das Schwimmbad insgesamt wohnlicher zu machen und in eine moderne Nutzung zu überführen“, so der Architekt August Schaefer. Und das scheint gelungen zu sein.

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