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Ralf König – ein bewegter Mann

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Seconds traf Ralf König – Über Ursula, Gott, die Welt und allzu Menschliches „Die Missverständnisse zwischen den Geschlechtern werden sie begleiten, bis es keine mehr gibt.“

SECONDS: Herr König, bei unserer Recherche zu „Herrliche Frauenzimmer“ sind wir auf Ihr neuestes Buch „Elftausend Jungfrauen“ gestoßen – das ist nicht Ihr erster Comic mit Bezug zu
Religion, oder?

KÖNIG: Nein, ich beschäftige mich nun seit ungefähr fünf Jahren mit religiösen Themen. Im Grunde bin ich ja der ‚schwule Comiczeichner’, diesen Stempel hab ich nun mal seit ich Anfang der 80er damit anfing, die Schwulenszene zu karikieren. Aber nach 27 Jahren hatte ich dazu erst mal alles erzählt, ich fing an, mich zu wiederholen und auch etwas zu langweilen. Ich bin ja nicht nur schwul, mich interessiert ja auch anderes im Leben, und Religion hat mich immer wütend gemacht. Ich bin katholisch aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Ostwestfalen, das hat mich natürlich geprägt, und diesen ganzen Ballast aus Marienverehrung und Schuldgefühlen muss man ja erst mal abwerfen! Von katholischer Seite kommen zum Thema Homosexualität ja keine milden Statements, man wächst auf mit dem Urteil ‚Gott will das nicht’. Zum Glück waren meine Eltern nicht religiös, ich erlebte den Krampf also eher im Religionsunterricht, Schulmessen etc., aber das reichte. Also ich hab eine ganze Bibeltrilogie gezeichnet für Rowohlt und nun noch die ‚Elftausend Jungfrauen’. Die Heilige Ursula war allerdings eine schwere Entjungferung. Die Geschichte ist monströs, allein diese vielen Personen, die Jungfrauen, der Papst, ein Engel, die Hunnen, und die Kulissen! Schiffe auf dem Rhein, Coelln, die Alpen, Rom…

SECONDS: In dem Thema steckt ja auch eine Menge drin…

KÖNIG: Und mein Problem ist meistens, dass ich eher zu viele Ideen habe als zu wenige. Es hätten locker 500 Seiten werden können, nun sind’s immerhin 300. Aus der Ursulalegende könnte man eine komplette Fernsehserie in drei Staffeln machen! Ich mag diese hochwertigen TV-Serien, „Six Feet Under“, „Breaking Bad“ etc. Die Legende der Kölner Schutzheiligen wäre ein toller Serienstoff, allerdings nur als Comedy. Diese katholischen Heiligenlegenden sind einfach kurios und oft unfreiwillig komisch.
Tatsächlich waren es ja keine 11 000 Jungfrauen, sondern nur 11, und letztlich nicht mal die! Die historische Geschichte vom Kölner Reliquienhandel ist mindestens so spannend wie die Legendenbildung selbst. Da haben sie im Mittelalter vor den Stadtmauern dieses riesige römische Gräberfeld freigelegt und prompt behauptet, das seien die Gebeine der elftausend Jungfrauen und die wurden lustig verhökert. Der Katholizismus war immer auch ne geschäftstüchtige Angelegenheit.

SECONDS: Aber dieser Marktplatzcharakter kommt ja in Ihrem Buch sehr schön raus…

KÖNIG: Ja, die Idee wollte ich noch unterbringen, denn ich kann mir das kaum vorstellen – wie verhökert man denn Knochen? Und wo? Die Pilger kamen also nach Köln, um Ursula-Reliquien zu kaufen, das war ein echter Tourismus-Exportschlager! Aber wo haben sie die gekauft, vielleicht beim Kardinal unterm Tisch oder so? Ich dachte, das wäre doch chic, auf dem Heumarkt ein großer Wochenmarkt, wo die Händler marktschreierisch Heiligenknochen, Fingernägel und Haarbüschel verkaufen.

SECONDS: Was muss eine Geschichte haben, um ein guter König-Comic zu werden?

KÖNIG: Na, „Frauenzimmer, Herrenzimmer“ ist schon mal ein gutes Stichwort. Ich hab’s mit den Geschlechterrollen, Beziehungsprobleme, das Allzumenschliche interessiert mich, vor allem das Peinliche. Ich hab schwule Comics gezeichnet, als das Thema noch ein gesellschaftliches Tabu war, und hatte von Anfang an mein Publikum. Es gab ja nichts damals, nur verkrampfte Problemlektüre, und da kam plötzlich einer, der machte sich lustig, der zeichnete schwule Knollennasen und war auch noch selbst schwul! Meine ersten Erfolge hatte ich in der linken Studentenszene, meine Bücher lagen auf den WG-Klos, es war wohl sehr befreiend, über Schwule lachen zu dürfen, ohne gleich zu diskriminieren. Es gab ja nur diese schlimmen Detlev-Witze damals. Dann hab ich 1987 den ‚Bewegten Mann’ gezeichnet und plötzlich: WHUFF! war das ein Riesenerfolg. Das Thema lag wohl in der Luft. Die Leute wollten wissen, was ist denn das mit den ominösen Schwulen, sind die wirklich so pervers oder banal oder normal oder was sind die denn?
Das ist heute natürlich wesentlich entspannter, zum Glück, aber dadurch ist mein Thema auch nicht mehr so ganz skandalträchtig. Das mit den Schwulen ist hierzulande nicht mehr aufregend und empörend, obwohl es immer noch heftige Diskussionen gibt um Homo-Ehe und Adoptionsrecht, etc. Religiöse Themen stoßen inzwischen mehr auf Empfindlichkeiten, wenn ich wie in ‚Antityp’ einen Comic über den Apostel Paulus mache, finden Gläubige das schon beleidigend, bevor sie’s überhaupt gelesen haben!

SECONDS: Hatten Sie schon mal das Gefühl, Grenzen zu überschreiten mit Ihren Comics?

KÖNIG: Irgendwelche Grenzen überschreitet man natürlich immer, gerade bei religiösen Dingen. Aber wessen Grenzen sind das, wer steckt die ab, und beachtet derjenige meine Grenzen? Ich habe mit meinen religiösen Büchern nie wirklich Ärger gekriegt, außer mit ein paar Evangelikalen, im Gegenteil, es gibt erstaunlich viele Gläubige und Theologen und Priester, die meine Bücher richtig spaßig finden! Weil sie merken, dass ich kein Interesse daran habe, nur plump zu beleidigen oder religiöse Gefühle zu verletzen. Ich habe mich immer mit den Stoffen auseinandergesetzt, ich hab diese wirren Paulusbriefe hoch und runter gelesen oder mich mit der Aufklärung auseinandergesetzt, um ‚Prototyp’ zu zeichnen. Die Leute merkten, dass ich weiß, wovon ich schreibe und es kam eher zu vergnüglichen Diskussionen. Wenn man richtig bohrt, merkt man auch, wie nervös Gläubige werden, wenn man da an die Grundsatzfragen kommt, also Auferstehung und Himmelfahrt. Dann sind ‚aufgeklärte’ Gläubige in der Zwickmühle. Das sind schon spannende Diskussionen teilweise, aber man kommt auch nicht wirklich voran, und dann wiederholt sich auch das.

SECONDS: Wir haben Ihre kritischen Beiträge zum Karikaturenstreit 2006 gesehen – sind Sie dafür angefeindet worden?

KÖNIG: Interessanterweise nicht von muslimischer Seite, ich glaube, dass die das gar nicht mitgekriegt haben. Und selbst wenn, hätte es keinen Ärger gegeben, weil ich ja keinen Propheten gezeichnet habe. Darum geht’s doch, wenn man so ‘ne Nase aufs Papier kritzelt und „Mohammed“ drunter schreibt. Ich hab mich eher geäußert zu dem, was mich damals so empörte, dieses „Oh, da nehmen uns religiöse Fanatiker übel, dass wir mitten in Europa islamkritische Cartoons veröffentlicht haben, da brennen Botschaften, darum sollten wir vielleicht besser keine solchen Cartoons mehr veröffentlichen!“ Diese Reaktion fand ich ungeheuerlich. Und es waren Zeichnungen, also meine ‚Zunft’ war betroffen. Zwei oder drei Cartoons waren sogar gut, der mit den versprochenen Jungfrauen im Himmel zum Beispiel. Und dass dann so zurückgehüstelt wurde, ja, wir haben zwar unsere Presse- und Meinungsfreiheit, aber trotzdem sollten wir nicht alles sagen wollen, was wir sagen dürfen … Das hat mich damals auf die Palme gebracht. Meine Zeichnungen habe ich an einem Vormittag aufs Papier gehauen, so aus dem Bauch raus. Danach hat mein Agent die Cartoons an verschiedene Zeitschriften geschickt. Da kam mehrfach die Reaktion, „Ja das ist genau das Richtige jetzt, wir nehmen die exklusiv!“, aber nach der Redaktionssitzung riefen sie dann an, sie hätten sich das überlegt, im Moment vielleicht gerade nicht … Sie wurden dann nach und nach gedruckt, in der FAZ, der Süddeutschen, der Frankfurter Rundschau, aber das hat mich damals echt beschäftigt, diese Mutlosigkeit in diesen Tagen. Wie viele Bücher wurden im freien Westen nie gedruckt, wie viele Filme nie gedreht, wie viele Cartoons nie gezeichnet, aus Angst vor einer Religion?
Es gab keine Reaktion von muslimischer Seite, aber es gab den Wunsch der Medien, dass es eine gäbe. Ein Fernsehsender, der ein Interview zu meinem Zweiteiler „Dschinn Dschinn“ machen wollte, ist damit zum Zentralrat der Muslime gegangen und hat dem vor laufender Kamera die Bücher vor die Nase gehalten mit der Frage, was er davon halte. Ich glaube, die waren enttäuscht, dass der Mann nur sagte, wenn der Zeichner das so sieht, dann soll er das so sehen, ist doch in Ordnung. Die wollten, dass der wie das HB-Männchen an die Decke geht und die Fatwa ausspricht. Ich fand das alles sehr unappetitlich damals, dass man wie die Sau durch’s Dorf getrieben werden sollte.

SECONDS: Kommen wir noch mal auf unser Thema zurück – eignen sich beide Geschlechter gleichermaßen für Karikaturen?

KÖNIG: Klar, auf jeden Fall. Aber ich habe immer gern eine Ahnung von dem, was ich schreibe und da ist mir die Frau als solche einen Schritt weiter weg. Deshalb habe ich auch noch nie einen richtigen Comic über Lesben gemacht. Die kommen hier und da mal vor, aber eher selten. Jeden CSD demonstrieren Schwule und Lesben zusammen und das ist auch richtig so, und trotzdem hab ich mit lesbischen Frauen weniger gemein als mit heterosexuellen. Mit einer heterosexuellen Freundin kann ich mich über die Dramen mit den Männern unterhalten. Eine Heterofrau kann den gleichen Mann attraktiv finden wie ich, das verbindet.

SECONDS: Gibt es bei Schwulen andere Klischees als es die bei Heteros über Heteros gibt oder über Lesben, Transsexuelle?

KÖNIG: Also ich bin jetzt schon so lange mit dem Thema unterwegs, dass ich sagen möchte, die ganze schwule Szene ist ein einziges Klischee (lacht). Ehrlich, die Schwulenszene ist oft genug kurios, ich stand auch immer einen Schritt daneben und guckte mir das mit etwas Abstand an, sonst hätte ich diese Comics gar nicht zeichnen können! Ich finde die Moden öde und den Musikgeschmack schlecht und überhaupt dieses ganze Gruppenzwangsverhalten. Plötzlich waren alle tätowiert oder hatten einen bestimmten Haarschnitt, wenn du schwul bist, hast du Madonna toll zu finden oder inzwischen Lady Gaga, keine Ahnung, und die und die Fernsehsoap! So wie die Szene sich in ihren eigenen Medien präsentiert, ist sie sehr oberflächlich und eingegrenzt. Da ist nichts mehr Avantgarde oder aufmüpfig, aber okay, das ist in der übrigen Gesellschaft ähnlich. In den Anfängen, den 60er-, 70er-Jahren, ich meine Warhol, David Bowie, da funkte es ja aus der Ecke. Heute ist alles weichgespült. Okay, einmal im Jahr zum Kölner CSD geht man auf die Straße und feiert Party. Aber auch das ist jetzt natürlich ein Klischee – mein ganzer Freundeskreis ist ganz anders drauf. Die identifizieren sich kaum mit der Szene. Es kommt aufs Individuum an, wie immer.
Und es sind auch die Medien: Beim CSD sieht man 100tausende ganz normale schwule Männer und Lesben, von den Zeitungen fotografiert werden aber nur die schrillen Papageien. Als Stoiber damals Bundeskanzler werden wollte, haben wir mit ein paar Freunden eine Aktion auf dem CSD gemacht, die ‚Entstoiberungskampagne’: Wir haben uns wie eine Putzkolonne nur grüne und rote Overalls übergezogen und haben die Passanten abgeputzt und abgesprüht, entstoibert eben. Wir waren bestimmt 20 Leute und haben auch Aufsehen erregt, aber das Fotogewitter erntete die bunte Transe hinter uns, auf meterhohen Pumps und Turmfrisur, aber keinerlei politische Botschaft außer „Seht her, seh ich nicht toll aus?“

SECONDS: Jeder Jeck ist anders, sagt man hier…?

KÖNIG: Ja, stimmt schon, und ich bin froh, dass ich in Köln lebe. Meine Elftausend Jungfrauen-Ausstellung im Kölner Stadtmuseum wäre woanders kaum möglich gewesen! Da war selbst die katholische Kirche dabei, der Pfarrer der Basilika St. Ursula fand meine Comics und die Idee der Ausstellung gut und machte mit. Also haben das altehrwürdige Stadtmuseum, die katholische Kirche und ich gottloser Agnostiker zusammen diese Ausstellung gemacht, die dann sehr erfolgreich war. Im katholischen Gebälk hat es zwar geknirscht und der Pfarrer musste der Chefetage kurz erklären, was er denn da eigentlich macht. Aber so ist der rheinische Katholizismus.

SECONDS: Lebt es sich in Köln entspannter? Ist das eine Frage von Liberalität oder des Umgangs miteinander…?

KÖNIG: Ich glaube, dass der Karneval hier das ganze Jahr über mitschwingt. Die Leute sind lockerer… gut, auch Klischee, aber ich hab Bekannte in Hamburg, die haben es nicht so mit dem hemmungslosen Abfeiern. Es ist vielleicht eher eine Frage der Metropole. Wenn so viele Menschen, die so verschiedener Natur sind, auf engem Raum zusammenlaufen, muss man sich ja irgendwie arrangieren und da muss man schon mal ein paar Augen zudrücken. Köln ist extrem eng, das nervt mich an der Stadt am meisten, und Köln ist schmuddelig. Die Leute, die immer so eine Selbstbeweihräucherung um ihr Kölle machen, gehen damit nicht sehr pfleglich um, auch die Jungen nicht. Geht man im Sommer morgens am Aachener Weiher vorbei, sieht es da aus wie nach Woodstock. Die ganze Wiese voll Abfall, kaum einer kommt auch auf die Idee, dass man seinen Müll ja mitnehmen und entsorgen könnte. Oder dieses elende auf den Rolltreppen stehen bleiben, das macht mich auch wahnsinnig! Da könnte die Stadtverwaltung mal ein paar Schilder anbringen, ‚Rechts stehen, links gehen’, damit das mal wieder in die Köpfe kommt! Neulich hab ich so’ner kaugummikauenden Göre das beim Vorbeirempeln ins Ohr gezischt, da sagt die: „Wieso, ist doch ne Rolltreppe, keine Gehtreppe!“

SECONDS: Noch mal kurz zum Karneval – was machen Sie an Karneval, fliehen Sie oder feiern Sie?

KÖNIG: Mein erster Kölner Karneval 1990 hat mich total überrumpelt! Ich hatte damit bisher nichts am Hut, ich komme ja aus dem eher trockenen Westfalen. Karneval war für mich immer, als Kind von der Mutter vor die Tür geschickt zu werden, verkleidet mit irgendeinem blöden Chinesenhut, und dann musste man bei den Leuten klingeln, ein Lied singen und kriegte eine Wurst und ein Ei. Ich fand das demütigend und peinlich. Und jetzt wohnte ich plötzlich in Köln auf der Kyffhäuser Straße, war gerade 30 geworden und merkte im Vorfeld natürlich, dass die Stadt so langsam in Schräglage geriet. Ich dachte, tue ich mir das jetzt an oder hau ich ab? Ich beschloss, es zu ignorieren. Und dann, Donnerstag, es war so richtig frühlingshaft sonnig und ich wollte nur meine Brötchen holen. Da war diese kleine Bäckerei auf der Zülpicher Straße und zwei ältere Bäckersdamen, die standen da plötzlich mit solchen Möpsen und so ’ner Nase und das ganze Quartier Lateng auf den Beinen, alle verkleidet und gut drauf. Ich dachte, Moment mal, was ist das denn hier? Und hab prompt jemanden getroffen, den ich kannte, der hatte seine ganze Truppe dabei und die haben den ahnungslosen Westfalen unter’n Arm genommen, keine Widerrede! Ich bin noch kurz nach Hause und hab mir so’n goldenen Pailettenfummel aus dem Schrank geholt aus meinen Dortmunder Transentheaterzeiten, den hab ich mir schnell übergezogen, und dann war ich … Oh Mann. Das war wie so’n Frohsinns-Tsunami: WUSCH!!! Ich bin drei Tage nicht nach Hause gekommen! (lacht) Keine Ahnung, was ich alles gemacht hab, womöglich bei Leuten geklingelt und ’n Lied gesungen für ’ne Wurst und’n Ei!
Ich neige ein bisschen zu diesem Wintermelancholischen, also nach Weihnachten geht’s bei mir los, ich schlepp mich immer durch den Januar, Februar. Karneval war da 20 Jahre lang immer wie so’n Trampolin ins Glück. Okay, jetzt bin ich 52, vertrag den Alk nicht mehr so, man flirtet ja auch nicht mehr wirklich… dieses Jahr habe ich überhaupt nicht gefeiert, war mir alles zu anstrengend. Mein Freund kommt aus Cottbus, der hat damit auch nichts am Hut. Aber mein Herz blutet schon ein bisschen, wenn draußen das Trömmelsche geht. Okay, nächstes Jahr wieder. Ganz bestimmt!
Das versteht ja außerhalb von Köln kein Mensch. Amüsant, wenn man mit einem Berliner oder Hamburger über Karneval redet, erstmal rümpfen sie die Nase, weil sie ja meinen zu wissen, worum’s geht. Karneval im Fernsehen ist ja auch unerträglich, diese schrecklichen Prunksitzungen und so, aber was in den Kneipen und auf der Straße abgeht, davon haben die überhaupt keine Idee. Ich hab aber irgendwann aufgehört, Leute von auswärts einzuladen. Erst war da so ein Missionarsanspruch, ich wollte allen zeigen, was hier abgeht, aber das hat mir zu oft selber den Karneval ein bisschen vermiest, weil die Gäste dann nur hilflos im Gedrücke zwangsschunkelten und eher Angst hatten.

SECONDS: Im Kölner Dreigestirn wird die Jungfrau von einem Mann dargestellt. Die Erklärung dafür ist allerdings sehr profan: in den traditionellen Karnevalsvereinen sind Frauen nicht zugelassen…

KÖNIG: Ja, bei der Ursula-Ausstellung hatten wir zwei Kostüme dieser Jungfrauen ausgestellt. Zur Eröffnung hat Dr. Kramp, der Direktor, die Idee gehabt, die letzten elf Jungfrauen einzuladen, im vollen Ornat. Die standen auf der Bühne und die Kölner Hunnenhorde kam auch noch dazu.

Da hatte ich so kerlige Hunnen mit Fell überall erwartet, aber dann waren das fast nur Frauen.

Da hatte ich so kerlige Hunnen mit Fell überall erwartet, aber dann waren das fast nur Frauen, die Jungfrauen waren dagegen Männer, da passte es dann wieder.
Und es war auch einiger Umstand, die Genehmigung zu kriegen, Ex-Jungfrauen dürfen nämlich nicht einfach diesen Fummel anziehen außerhalb der Saison! Das musste man erst von der Karnevalsoberhauptverwaltung abstempeln lassen. Ganz unjecke Bürokratie.

SECONDS: Und der paramilitärische Rosenmontagszug, wie finden Sie den?

KÖNIG: Ja, sicher historisch gesehen Militärparodie, heute wieder halb ernst genommen, diese Uniformen und Gleichschritt… Aber das soll alles sein, gehört nun mal zum Fastelovend. Ich selbst finde den Rosenmontagszug sehr viel uninteressanter als diese kleinen Veedelzöch. Was die Leute sich im Kleinen ausdenken, ist viel origineller als dieses ‚halbe Stunde rote Funken, halbe Stunde blaue Funken…’ Ich habe natürlich nur den Kneipen- und den Straßenkarneval mitgemacht und dabei so abgefahrene Begegnungen gehabt. Es ist schon ein sehr spezielles Fest. Allein die Tatsache, dass man SECHS Tage lang feiern kann! Die in Berlin und sonstwo feiern mal ’ne Nacht Geburtstag oder Silvester und das war’s. Hier steht man schon schunkelnd auf und kann noch ’ne ganze Woche weiterschunkeln! Man kommt ja schon durch die Dauerschunkelmusikschleife ins glückselige Delirium.

SECONDS: Wir haben noch eine Frage übrig. Was ist Ihre Assoziation zu unserem April-Thema „Herrliche Frauenzimmer“?

KÖNIG: Es gibt ein Theaterduo in Hamburg, die nennen sich „Herrchens Frauchen“, das fand ich einen sehr coolen Namen, weil der alles auf den Kopf stellt. „Frauchen“ und „Herrchen“ ist ja was für Hundehalter und „Herrchens Frauchen“, da weiß man gar nicht mehr, wo man anfangen soll. Es gab ja mal diese Zimmer, die nur für Frauen waren. Das Herrenzimmer war dann wahrscheinlich der Salon, wo bärtige Männer wichtig Zigarren rauchten. Schon beklemmend, diese Unterteilung.
Ich finde Geschlechterrollen spannend, weil die Missverständnisse zwischen den Geschlechtern sie begleiten werden, bis es in ferner Zukunft keine mehr gibt. Klar, auch Konflikte unter Männern sind endlos, aber ich fand es ’ne Weile spannender zu gucken, wie denn das mit Mann und Frau läuft. Da sind ja noch ganz andere Hürden zu nehmen. Was Frauen nicht wollen, wollen Männer erst recht und andersrum. Leider rümpften deswegen einige meiner schwulen Stammleser die Nase. Da war es mit der Toleranz dann auch nicht weit her, Ralf König hatte gefälligst rein schwule Comics zu zeichnen! Bei „Hempels Sofa“ hatte ich zum ersten Mal eine heterosexuelle Frau als Hauptfigur, das haben mir viele richtig übel genommen! Jetzt zeichnet er für Heteros! Aber das war schon 1987 so, bei meiner Version der ‚Lysistrata’, das war einigen auch schon zu heterosexuell. Dabei sehe ich die Welt immer aus der schwulen Brille, weil ich nun mal ein schwuler Mann bin, auch wenn’s um Heteros geht oder Hunde oder Außerirdische. Momentan beschäftige ich mich übrigens mit Science Fiktion. Geile behaarte Aliens. „Im Weltraum hört dich niemand grunzen“ oder so.

SECONDS: Herr König, vielen Dank für dieses Gespräch.

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