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Beautiful Burn-out?

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Von Michaele Gartz – Die Zahl der psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz steigt seit Jahren kontinuierlich an. Burn-out ist auf dem Weg, sich zu einer Volkskrankheit zu entwickeln. Trotzdem ist die Akzeptanz in der Gesellschaft noch gering. Erkrankte schweigen deshalb häufig viel zu lange. „Es war an einem Samstagmorgen. Hinter mir lag mal wieder eine äußerst stressige Arbeitswoche. Ich erwachte und fing plötzlich an, wie ein Kind zu weinen. Etwas in mir war kaputt, zerbrochen.

Ich fühlte mich nutzlos, schwach, völlig fremd in der eigenen Haut und unfähig zu irgendeiner normalen Aktion. Meine Frau drängte mich schließlich sanft dazu, aufzustehen, doch bereits unter der Dusche bekam ich den nächsten Heulkrampf. Nichts ging mehr.“ Diagnose Burnout.

Hört man Betroffene darüber sprechen, wie sich bei ihnen eine Burnout-Erkrankung gezeigt hat, gibt es auffällig viele Parallelen. Die wenigsten nehmen die ersten Anzeichen wie chronische Müdigkeit, Erschöpfung und Niedergeschlagenheit ernst. Erst wenn Körper und Seele in den Totalstreik gehen und selbst das Aufstehen am Morgen ein kaum noch zu bewältigender Kraftakt wird, dämmert es den Betroffenen, dass sie bereits eine Grenze überschritten haben. Dann aber ist es meist schon sehr spät.

Durchschnittlich 48 Tage waren deutsche Arbeitnehmer 2014 aufgrund psychischer Erkrankungen, zu denen auch das Burn-out zählt, krankgeschrieben. Rund  zehn Prozent aller Fehltage gehen auf Erkrankungen der Psyche zurück. Auch sind psychische Erkrankungen mittlerweile der häufigste Grund für ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Job. Warum aber warten so viele Betroffene sprichwörtlich bis zur letzten Sekunde, bevor sie sich eingestehen, dass es so nicht mehr weitergeht?

Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.
Jean-Jacques Rousseau

Die Angst vor Ablehnung ist groß

„Auch heute noch spielen Angst und Scham für die Betroffenen eine große Rolle“, fasst Thomas Rozanski seine Erfahrungen als Coach in der Arbeit mit Burn-out-Erkrankten zusammen. „Noch immer ist gerade in den Köpfen von Führungspersonen das Bild vorherrschend, dass ein Chef keine Schwäche zeigen darf. Deswegen glauben viele Betroffene noch sehr lange daran, dass die mit einem Burnout einhergehenden Beschwerden auch wieder von selbst verschwinden. Das Eingeständnis, dass das nicht mehr der Fall sein wird, erfolgt meist sehr spät.“ Dazu kommt: Auch die gesellschaftliche Akzeptanz bei chronischer Erschöpfung ist keinesfalls so hoch wie bei einer körperlichen Erkrankung. Ein Herzinfarkt ist für die Umwelt fassbar und sichert das Mitgefühl der Angehörigen, Freunde und Kollegen. Ein Burnout dagegen verunsichert die Umwelt. „All das verursacht bei den Betroffenen einen enorm hohen Leidensdruck, der sie so lange wie möglich in der Situation verharren lässt“, so Rozanski.

Drastischer Wandel der Anforderungen in der Arbeitswelt

Die Gründe, warum jemand an Burn-out erkrankt, sind so vielschichtig wie die Lebenswege, die dahinter stehen. Sicherlich haben sich die Anforderungen an den Einzelnen in der Arbeitswelt in den vergangenen Jahrzehnten drastisch geändert. Wer beruflich weiterkommen will, muss durch eine harte Schule. Multitasking ist Pflicht. Die digitale Revolution macht zudem die ständige Erreichbarkeit auch im Privatleben zur Norm. Fast jeder Berufstätige hat schon erlebt, dass das Arbeitsleben ihm nachts den Schlaf raubt oder Panikattacken beschert. Viele sind heute überfordert, aber nicht jeder erkrankt an Burn-out.

Nicht jede Überbelastung ist gleichzusetzen mit einem Burn-out

„Die Grenze zwischen Überbelastung und Burn-out ist schwer zu definieren“, weiß Thomas Rozanski. „Jeder hat eine individuelle Belastungsgrenze. Es gibt Menschen, die Jahre lang mit einer enormen Belastung leben können, ohne dass sich bei ihnen Anzeichen von Burn-out zeigen. Die Grenze zum Burn-out ist allerdings dann überschritten, wenn das Arbeitsaufkommen für die betroffene Person zur Belastung wird.“

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Photo Artwork©Lara Zankoul

„Burn-out ist keine Diagnose, sondern ein Syndrom, unter dem sich viele unterschiedliche Dinge verbergen können.“
(Mazda Adli – Leiter des Forschungsbereich Affektive Störung an der Charité in Berlin)

Jede Therapie beginnt mit einer Inventur des Lebens

Unabhängig von der gesellschaftlichen Akzeptanz sind Erkrankte häufig froh, wenn ihnen die Diagnose Burn-out gestellt wird. Für viele hört damit ein langer Leidensweg auf, der mit chronischer Erschöpfung begann und mit dem Absturz in die totale Arbeitsunfähigkeit endete. In einer namentlich benennbaren Erkrankung schwingt auch immer die Hoffnung mit, dass es eine passende Therapie gibt.

So individuell die Ansätze dafür auch sein mögen –eines bleibt in allen Therapien gleich: Betroffene müssen ihr Leben systematisch neu ordnen. „Gerade für Führungskräfte ist das enorm schwierig“, weiß Rozanski. „Sie müssen sich häufig erstmals in ihrem Leben mit sich selbst beschäftigen.“ Und das ist alles andere als einfach. „Wer sein ganzes Leben wie eine Maschine funktioniert und mitunter Millionenprojekte verwaltet hat, tut sich sehr schwer damit, Fragen nach den persönlichen Werten und den eigenen Vorstellungen von der Welt zu beantworten.“ Doch nur wenn Burn-out-Erkrankte ihr Leben einer Inventur unterziehen und lernen, ihren eigenen Bedürfnissen mehr Achtsamkeit zu schenken, ist eine Therapie auch erfolgreich.

„So paradox es klingen mag: Burn-out-Erkrankte müssen wieder lernen, einen gesunden Egoismus an den Tag zu legen, und zwar in Bezug auf ihre Bedürfnisse. Denn die haben sie häufig über viele Jahre vernachlässigt“, so Rozanski. „Der Coach kann dabei immer nur eine Krücke auf Zeit sein. Und die braucht der Betroffene irgendwann nicht mehr.“

Thomas Rozanski ist Business-Coach und Geschäftsführer des Restaurants „Purino“ in Köln. In seiner Funktion als Coach arbeitet er regelmäßig mit Klienten, die an einem Burnout erkrankt sind.

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Foto des Artikels von:
Lara Zankoul PHOTOGRAPHY
Serie The Unseen 2013
http://larazankoul.com/

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