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VOY – Unvorstellbar für Sehende

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Immer noch unvorstellbar für Sehende – VON IRIS THEN/Foto©Marcel Feltes- Wer als Kind „Blinde Kuh“ gespielt hat, weiß wie schwierig es ist, sich nur auf den Gehör- und Tastsinn verlassen zu können, während man versucht sich im Raum zu orientieren. Da erscheint es einem fast wie ein Ding der Unmöglichkeit, dass blinde und sehbehinderte Menschen Fußball spielen. Und doch, sie tun es, zudem auch noch professionell.

Denn Blindenfußball ist zwar immer noch eine relativ junge Sportart, aber bereits in den sechziger Jahren gab es organisierte Mannschaften in England, Spanien und vor allem in ihrem Ursprungsland – Brasilien. Weltmeisterschaften finden seit 1998 alle zwei Jahre statt. In das Licht einer breiteren Öffentlichkeit rückte der Blindenfußball aber erstmalig 2004 bei den Paralympischen Spielen in Athen. Mittlerweile wird die Sportart weltweit in mehr als 20 Ländern erfolgreich gespielt.

Auch in Deutschland spielt man seit 2006 Blindenfußball. An über 19 Standorten trainieren inzwischen Teams. So zum Beispiel auch bei dem 2008 gegründeten Blindenfußballverein des Polizeisportvereins Köln. Der Bioinformatiker und Filmemacher Christian Ebeling hat einen Film über die Kölner Mannschaft gemacht, die bereits erste Turniererfolge und gute Platzierungen für sich sammeln konnte. Bei den Recherchen zu einem Dokumentarfilm, der ursprünglich über den Spitzensport gehen sollte, war er zufällig auf den Blindenfußballsport gestoßen und sofort von diesem Thema angetan.

Der Film aus Köln – Blindenfußball sichtbar gemacht

Christian Ebeling/Filmhaus Köln

„Mein Interesse daran, wie sich sehbehinderte und blinde Menschen orientieren und die Welt wahrnehmen, war schon immer sehr groß. Aber mir kam es unpassend und aufdringlich vor, einfach einen blinden Menschen anzusprechen“, meint der Filmemacher zu seinem Verhältnis zu Blinden befragt. „Als ich an meinem Film über Blindenfußball arbeitete, hatte ich die Möglichkeit, über einen besonderen Sport zu berichten, der von blinden und sehenden Menschen gemeinsam betrieben wird. Aber nicht die Blindheit stand im Mittelpunkt, sondern der Sport und die Grenzen, die man als blinder Mensch überwinden kann.“
„Voy“, so der Titel des Films, zeigt wie der Blindenfußball funktioniert. Schließlich gibt es, um Unfälle zu vermeiden, doch ein paar Unterschiede zum bekannten Fußballspiel: Alle Spieler tragen zu ihrer Sicherheit einen Kopfschutz. Und der Angreifer, der sich dem ballführenden Akteur nähert, muss laut das spanische Wort „Voy“ („Ich komme“) rufen, damit ungewollte Zusammenstöße vermieden werden. Da die Spieler in erster Linie auf akustische Signale angewiesen sind, gibt es auch sogenannte Guides am Spielfeldrand und hinter den Toren, die sehend sind und den Spielern zurufen. Außerdem wird ein Spezialfußball eingesetzt. Er ist etwas kleiner und deutlich schwerer als der Übliche, weil er im Inneren ein paar Rasseln enthält. Auch das Spielfeld ist kleiner gehalten und die Anzahl der Spieler (5) der Größe des Spielfeldes angepasst. Gespielt wird 2×25 Minuten. Auf dem Platz selbst gibt es nur zwei Spieler, deren visuelle Wahrnehmung nicht beschränkt sein muss. Die beiden Torhüter. Alle anderen Spieler sind blind im Sinne des höchsten Schweregrades B1. Das heißt, sie verfügen maximal über eine hell-dunkel Wahrnehmung. Unterschiede in den Sehstärken werden durch Augenklappenbinden und Augenpflaster ausgeglichen, um Ungerechtigkeiten zu vermeiden.

„Anfangs hatte ich große Bedenken, einen Film über Menschen zu machen, die diesen Film nie sehen werden können“, erzählt Christian Ebeling. „ Deshalb war ich überrascht, wie offen ich aufgenommen wurde, als ich das Projekt das erste Mal den Spielern des Blindenfußballvereins PSV Köln vorstellte. Schnell war es normal, dass ich beim Training dabei war.“ Das Problem, dass die blinden und sehbehinderten Spieler den Film später nicht sehen können würden, löste der Filmemacher auch. „Ich erinnerte mich, dass man einen Film durchaus auch hören kann. Wer schon mal auf den falschen Knopf der Fernbedienung seines Fernsehers gekommen ist, kennt das bestimmt: Im Hintergrund beschreibt jemand die Ereignisse, die vollständig nur visuell erfassbar sind. Solch eine Audiodeskription habe ich dann auch gemeinsam mit dem Protagonisten Michael für den Film erstellt. Dabei hat mich Michael häufig in meiner Detailgenauigkeit gebremst und mich darauf aufmerksam gemacht, dass man viele Dinge auch einfach hören kann.“

Hier wird nicht nur gespielt, >sondern Inklusion gelebt

Fünf Monate hat Christian Ebeling die Mannschaft des PSV mit seiner Kamera begleitet. Herausgekommen ist ein Film, der mittlerweile auf zahlreichen Festivals lief. Die größte Überraschung, so der Filmemacher, sei für ihn eine Nominierung auf dem ältesten Kurzfilmfestival der Welt, in Oberhausen, gewesen. Jetzt hat er den Film bei einem sehr ungewöhnlichen Festival eingereicht: Dem 11mm Filmfestival in Berlin – einem Festival, das sich ausschließlich dem Thema Fußball widmet. Sollte der Film eingeladen werden, fährt er gemeinsam mit seinem Hauptprotagonisten, dem Blindenfußballer Michael dort hin.

Inzwischen ist Christian Ebeling mit Michael gut befreundet. Sie treffen sich hin und wieder auf ein Glas Kölsch. Inklusion wird also nicht nur durch die Mischung von sehenden und blinden Spielern beim Spiel gelebt.

Für viele blinde und sehbehinderte Menschen ist Fußball genauso wie für Sehende eine Leidenschaft. Diese Liebe zum Fußball verbindet Menschen und kann auch die gesellschaftliche Integration erleichtern.

„Ich denke, dass der natürliche Umgang mit sehbehinderten und blinden Menschen für uns selbstverständlich werden sollte“, sagt Ebeling. „Dann begreifen wir vielleicht, dass sich Blinde und Sehende zunächst einmal nur durch das Sehen unterscheiden. Weil die Welt, in der wir leben, vor allem aber für Sehende errichtet wurde, ist die Anstrengung, die ein Blinder unternehmen muss, um seinen Alltag zu bestreiten, ungemein höher. Das verlangt uns zwar Respekt ab, aber wir sollten uns vor allem bemühen, Barrierefreiheit als eine wichtige Voraussetzung für den einfachen Umgang miteinander zu betrachten und sie, wo möglich, auch zu fordern.“

Christian Ebeling arbeitet als Bioinformatiker am Fraunhofer-Institut für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen SCAI in Sankt Augustin. Als Filmemacher ist er Autodidakt. Seine Arbeiten veröffentlicht er vor allem im Internet. „Voy“ war auch auf zahlreichen Festivals und in diversen Uni-Kinos zu sehen.

Die Mannschaft des PSV trainiert regelmäßig alle 14 Tage samstags in einer Halle in Köln Lövenich auf einem Kunstrasenplatz.
Mit dem Trainer Dieter Wolf kann man ein Probetraining vereinbaren, um den Sport erst einmal kennen zu lernen. Der Verein freut sich über jede Verstärkung.
Mehr unter:

www.psv-koeln.de/sportangebote/fussball/blindenfussball/

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