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Themenjahr 2013 – Was wir von Astronauten lernen können

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Was wir von den Astronauten lernen können

Am 1. Juli ist es so weit: Mitten im „Themenjahr der Luft- und Raumfahrt“, das die Kölner Wissenschaftsrunde für 2013 ausgerufen hat, versammeln sich mehr als 80 Angehörige unserer Spezies, die alle eine Erfahrung teilen, die uns Normalsterblichen bisher leider verwehrt geblieben ist: Sie alle haben die Erde gesehen, und zwar von sehr weit weg.

Von irgendeinem entfernten Ort in den Tiefen des Universums haben sie sie betrachtet und waren von der Schönheit und Zerbrechlichkeit unseres Planeten zutiefst beeindruckt. Und gleichzeitig beseelt von dem Wunsch, diese Erfahrung zurück nach Hause zu bringen und anderen davon zu erzählen. Gar nicht abgehoben – Weltraumforschung für die Station Erde

Foto: NASA/Bill Anders
Foto: NASA/Bill Anders

Der „26. Planetare Kongress“ der Association of Space Explorers (ASE), auf dem sich Raumfahrer aus 30 Ländern treffen, findet dieses Jahr in Köln-Porz statt, ausgerichtet vom renommierten Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Sein diesjähriges Motto „Citiziens of Space – Stewards of Earth“ deutet bereits an, dass es den Weltraumexperten in diesem Jahr um den engen Zusammenhang zwischen solchen Fragen geht, die wir in irdischen Gefilden zu lösen haben, und solchen, auf die man stößt, wenn man sich ins All vorwagt. Wie sehr die scheinbar so abgehobene Weltraumforschung unsere Lebensbedingungen auf der Erde mitgestaltet, zeigt sich besonders deutlich an den modernen Kommunikationstechnologien, die ohne den Einsatz von Satelliten undenkbar wären. Auch können wesentliche Informationen über den Zustand und die Fragilität unseres Ökosystems nur durch die Erdbeobachtung aus großer Distanz gewonnen werden. So wäre z. B. das Phänomen der Klimaerwärmung in seinem ganzen Ausmaß ohne die Satellitentechnik erst sehr viel später erkannt worden. Solche Forschungsergebnisse und die Konsequenzen, die wir daraus ziehen, werden darüber entscheiden, ob es gelingt, unsere elementaren Lebensgrundlagen für zukünftige Generationen zu erhalten. Praktisch und gut – die kleinen Helfer aus dem All

Foto: NASA/Bill Anders
Foto: NASA/Bill Anders

Aber auch in unseren profanen Alltag hat die Weltraumforschung längst Einzug gehalten: angefangen bei Alufolie und Klettverschluss über den Akkuschrauber bis hin zum UV-Schutz für Sonnenbrillen. Während aluminiumbeschichtete Folien ursprünglich zum Schutz der Astronauten vor kosmischer Strahlung entwickelt wurden, halten sie heute u. a. den Inhalt von Chipstüten knackig frisch. Ein Segen für die Mondfahrer war auch die Erfindung des Klettverschlusses, der heute unverzichtbarer Bestandteil von Sport- und Funktionstextilien ist. Man muss sich klarmachen, dass in der Schwerelosigkeit des Alls jede banale Alltagsverrichtung zur ultimativen Herausforderung für den Astronauten werden kann, weil alle Gegenstände, die ihn umgeben, dazu neigen, entweder davonzuschweben oder ihm gefährlich zu werden. Deshalb wird in bemannten Raumsonden fast alles mit Klettverschlüssen fixiert. Ebenso hilfreich für die Arbeit im All war die Erfindung von wieder aufladbaren, akkubetriebenen Bohrmaschinen, denn die Apollo-Besatzung konnte nun auf dem Mond Bodenproben entnehmen, ohne sich dabei mit umherwaberndem Kabelsalat herumschlagen zu müssen. Viele weitere Beispiele für nützliche Alltagshilfen, die ursprünglich für Fahrten ins All entwickelt worden sind, ließen sich noch anführen – bis auf das berühmteste: die Teflonpfanne. Ausgerechnet sie ist nämlich kein Nebenprodukt der Raumfahrt (mehr zu Alltagsdingen – made by NASA: www.think-ing.de) Hilfe von oben – neue Denkanstöße für die Medizin

Foto: NASA/Bill Anders
Foto: NASA/Bill Anders

Nicht nur die Erforschung neuartiger Werkstoffe wird von Innovationen aus der Raumfahrt beflügelt, auch bei der Entwicklung neuer medizintechnischer Verfahren greifen Wissenschaftler auf die Weltraumforschung zurück, z. B. auf Erkenntnisse über den Einfluss kosmischer Bedingungen auf den menschlichen Körper. Wie etwa reagieren das Immunsystem, der Kreislauf und die Gehirnfunktionen auf Schwerelosigkeit? Welche Maßnahmen helfen gegen den berüchtigten Muskel- und Knochenschwund, der Weltraumfahrern so zu schaffen macht? Und lassen sich die entwickelten Therapien auch auf den alternden Menschen und das Krankheitsbild der Osteoporose übertragen? Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich das DLR-Forschungsinstitut für Luft- und Raumfahrtmedizin, das auch Initiator des 19. „Humans in Space“-Symposiums ist. Auf diesem Fachkongress, der direkt im Anschluss an das ASE-Astronautentreffen stattfindet, diskutieren Wissenschaftler aus aller Welt die neuesten Forschungsergebnisse aus Raumfahrt und irdischer Medizin und entwickeln Ansätze, wie sich beide Wissensgebiete noch besser synergetisch nutzen lassen. Doch damit nicht genug, denn das DLR sorgt für ein weiteres Highlight im Themenjahr der Luft- und Raumfahrt: In Kürze wird das neue Forschungszentrum :envihab feierlich eingeweiht. Hinter der kryptischen Buchstabenfolge verbirgt sich ein Akronym aus engl. environment = Umwelt und lat. habitat = Wohnstätte, Lebensraum. Nichts für Weicheier – die Simulation von Weltraumverhältnissen

Foto: DLR/Fabian Walk
Foto: DLR/Fabian Walk

Die neue Großforschungsanlage, die am 5. Juli ihre Pforten öffnet, mutet mit ihren gigantischen Ausmaßen und dem alles überspannenden, scheinbar schwebenden Dach fast futuristisch an. Sie liegt direkt neben dem Astronauten-Trainingszentrum der Europäischen Raumfahrtorganisation (ESA), wo die Weltraum-Auszubildenden fit fürs All gemacht werden. Prof. Dr. Rupert Gerzer, Leiter des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin, sieht in ihr „das irdische Schwesterlabor zur Internationalen Raumstation ISS“. Hier können auf einer Fläche von 3.500 qm exakt kontrollierbare Umweltbedingungen geschaffen werden, mit denen sich auch Weltraumverhältnisse simulieren lassen. Im Physiologielabor der Anlage kann die Luftfeuchtigkeit von fünf auf 80 Prozent gesteigert, der Sauerstoffgehalt dagegen bis auf zehn Prozent des normalen Wertes reduziert werden. Die Lichtzufuhr ist stufenlos bis hin zu völliger Dunkelheit regulierbarbar. Nichts für Probanden mit schwachen Nerven, denn die akustischen und klimatischen Reize, die Druckverhältnisse und Sauerstoffkonzentrationen sind zum Teil so beklemmend, dass sie bei zart besaiteten Naturen Panik auslösen könnten. Aber ängstliche Zeitgenossen haben im Weltraum ja ohnehin nichts verloren. Vereinte Nationen greifen Gender-Empfehlungen auf Das Herzstück der Anlage ist eine sogenannte Humanzentrifuge. Mit ihr kann man Fliehkräfte erzeugen, die dem Sechsfachen der Erdbeschleunigung entsprechen und nebenbei sogar noch Ultraschallbilder aufnehmen. Ein mit Spitzentechnologie ausgerüstetes Schlaflabor, in dem über einen längeren Zeitraum Isolationsstudien an den Versuchspersonen vorgenommen werden können, gehört ebenso zur Ausstattung wie ein Magnetresonanz- tomographiegerät. „Die Einrichtung ist in dieser Ausstattung weltweit einzigartig“, sagt Prof. Gerzer nicht ohne Stolz. Ein Beleg dafür, dass Köln keineswegs nur eine Hochburg des Karnevals ist, sondern auch der Weltraumforschung. Weitgehend unbemerkt – Weltraumforschung als blinder Fleck im Kölschen Selbstverständnis Der Standort Köln als Mekka der Weltraumforschung? Das deutsche Houston am Rhein? Ist das nicht reichlich überzeichnet? Keineswegs. Tatsächlich sind neben den bereits genannten hochrangigen Forschungsinstituten auch die Europäische Raumfahrtorganisation ESA, die Luftsicherheitsbehörde EASA und eine Fülle von Unternehmen in Köln angesiedelt, die direkt oder indirekt mit der Raumfahrt zu tun haben. Nicht zu vergessen der Airport Köln/Bonn, der mehr als 13.000 Mitarbeiter beschäftigt und der eng mit dem DLR kooperiert, aktuell z. B. als Partner bei dem Forschungsprojekt MODAL, das die Entwicklung aktiver Schallschutzmaßnahmen im Luftverkehr zum Ziel hat. Die Quintessenz: Das Motto des Themenjahres ist gut gewählt und mehr als eine Marketingschrulle. Die Stadt Köln und die Kölner Wissenschaftsrunde – das Netzwerk der Kölner Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen – tun gut daran, die Potenziale der Stadt als Zentrum der Luft- und Raumfahrt ins rechte Licht zu rücken und dieses durchaus gerechtfertigte Image auch im Bewusstsein der Kölner Bürgerinnen und Bürgern zu verankern. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde und wird einiges auf die Beine gestellt: So geben sich die Astronauten während ihres Aufenthaltes in Köln ausgesprochen kontaktfreudig: In zahlreichen Podiumsveranstaltungen und Workshops suchen sie den Austausch mit der interessierten Fachöffentlichkeit, vor allem aber auch das Gespräch mit Jugendlichen und Studenten. Einzelne Astronauten werden deshalb an verschiedenen Schulen, im DLR_School_Lab, an der Kölner Sporthochschule und im Odysseum zu Gast sein (Näheres dazu unter: www.ase26.org). Und selbst wenn die Raumfahrer wieder zu neuen Missionen in unendliche Weiten aufgebrochen sind – das Kölner Themenjahr der Luft- und Raumfahrt ist damit noch lange nicht vorbei. Zahlreiche Events folgen noch, z. B. weitere Themenabende der Veranstaltungsreihe „Wissenschaft im Rathaus (WIR)“, wo sich die Besucher an jedem ersten Montag im Monat kostenlos über Projekte der Weltraumforschung informieren können. Dabei müssen sie keinen kognitiven Overflow befürchten: Selbst zu Themen der theoretischen Physik wie etwa den Anfängen des Universums wird genauso anschaulich und unterhaltsam referiert wie zu der Frage, wie man seine Flugangst am besten in den Griff bekommt (das komplette Veranstaltungsprogramm WIR 2013 unter www.koelner-wissenschaftsrunde.de). Von Katharina Eusterbrock

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