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Heinrich Böll und Köln – Ein Schriftsteller und seine Stadt

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VON DIETER KALTWASSER – In einem Text mit dem Titel „Es geht immer weiter“ aus dem Jahre 1970 schreibt Heinrich Böll: „Ich wohne in dieser Stadt, ich bin in ihr geboren. Fragt man mich, ob sie meine Heimat sei, wüßte ich keine Antwort.” Knapp 10 Jahre später fragt ihn der Schriftsteller Werner Koch, ob er denn nun diese Frage beantworten könne. Böll erwidert: “Nein, ich bin mir nicht klar über das, was Heimat bedeutet, was Heimat ist, eine der wärmsten und schönsten Vokabeln, die für mich immer wieder, sagen wir, metaphysisch überfremdet ist. Ich bin der Meinung, daß wir hier nicht zu Hause sind; ich glaube, ich drücke das auch aus in dem, was ich schreibe.”

„Böll und Köln“, das sagt sich immerhin leicht daher, wie „Joyce und Dublin“, „Grass und Danzig“ und „Goethe und Frankfurt“. Im Unterschied zu den  drei anderen Schriftstellern hat Heinrich Böll lange Zeit in seiner Stadt gelebt und gearbeitet. Kaum ein Schriftsteller ist im Bewusstsein seiner Leser so sehr mit einer Stadt verbunden wie Heinrich Böll mit Köln. Hier verbrachte er Kindheit und Jugend, nach seiner Zeit als Soldat und Kriegsgefangener kehrte er in sie zurück und begann eine literarische Karriere, die in der Verleihung des Literaturnobelpreises 1972 gipfelte und ihm auch den Literaturpreis und die Ehrenbürgerschaft der Stadt Köln eintrug.

Das Buch „Heinrich Böll – Köln gibt’s schon, aber es ist nur ein Traum“, herausgegeben von René Böll, dem Sohn des Schriftstellers, versammelt Bölls Texte über seine Heimatstadt, liebevolle und detaillierte Beschreibungen der Südstadt vor dem Krieg, scharfsichtige Beobachtungen zum Wandel der Stadt und ihrer Bewohner unter der Naziherrschaft und detaillierte Schilderungen der chaotischen Verhältnisse nach dem Ende des Krieges. Und doch blieb das Verhältnis zwiespältig, auf viele seiner kritischen Äußerungen reagierten die städtischen Institutionen ablehnend. René Böll rekonstruiert mit Hilfe der Texte seines Vaters und zahlreicher Bilddokumente Bölls Verhältnis zu Köln; eine Besichtigung der Stadt durch das Werk des größten Schriftstellers der Stadt am Rhein. René Böll hat mit diesem wunderbaren Buch eine Lücke gefüllt.

9783462047226_10Heinrich Böll wurde 1917 in der südlichen Kölner Neustadt geboren. Nach dem Abitur 1937 begann er eine Ausbildung zum Buchhändler in der Bonner Buchhandlung Lempertz, danach fing er ein Studium der Germanistik an. Mit Kriegsausbruch wurde er zur Wehrmacht eingezogen und war sechs Jahre lang Soldat. Seit 1947 veröffentlichte er Erzählungen, Romane, Hör- und Fernsehspiele, Theaterstücke und zahlreiche Essays. Zusammen mit seiner Frau Annemarie arbeitete er auch als Übersetzer englischsprachiger Literatur. Er starb im Juli 1985 in Langenbroich/Eifel.

Siegfried Kracauer schrieb einst: „Die Erkenntnis der Städte ist an die Entzifferung ihrer traumhaft hingesagten Bilder geknüpft.“ René Böll spricht im von ihm herausgegebenen Buch von einem Reiz, der in der „Spurenlese“ bestehe, „die im Romanwerk verstreuten Anspielungen auf Köln zusammenzutragen.“ Köln ist in Leben und Werk überall gegenwärtig, als Arbeitsort wie auch als Lebens- und Schreibraum. In einem Gespräch mit Wolfgang Niedecken aus dem Jahre 1985 erfahren wir von Böll. “Mein Köln ist natürlich das unzerstörte Köln von vor dem Krieg. Das kann man nicht schildern, das ist nie gefilmt worden. Auch das Severinsviertel mit all seinen kleinen Gäßchen und Hinterhöfchen und die Kommunisten, die da wohnten.“ Der Schriftsteller verband mit Köln, wie er sich ausdrückte, etwas Niederländisches: „Ich entdecke das wieder, wenn ich manchmal in Utrecht bin, in Antwerpen bin, Brügge, Gent. Es war was sehr Niederländisches. Leider nicht im politischen Sinne. Wir waren Deutsche und werden wohl welche bleiben.“

Und dann verweist Böll noch einmal auf das völlig veränderte Bild Kölns:

„Die Architektur Kölns vor dem Krieg ist weg. Das ist für mich eine versunkene Stadt, in der ich einige Punkte noch erkenne, und das sind eben hauptsächlich die Kirchen, die romanischen Kirchen.“

Mit der Betonung seiner Vorliebe für die romanischen Kirchen wird auch sein zutiefst ambivalentes Verhältnis zum Kölner Dom sichtbar. Der Dom, so Böll im Gespräch mit dem Autor Werner Koch, sei innen wunderbar: „Ich liebe den Dom innen sehr, außen mag ich ihn nicht“, und “die Türme des Doms stören mich, die sind für mich überflüssig. Die Domtürme sind für mich ein Hohenzollerngebilde.“ Über einen Holzschnitt des Künstlers und Freundes HAP Griesbacher schrieb er: „Ich hab’s gesehen, lieber Grieshaber: der Kölner Dom hat auf Ihrem Holzschnitt keine Türme; ohne türme wäre er ja auch viel schöner; ein solches Bauwerk baut man doch nicht fertig.“ Und: „Der romantische Traum von der geeinten Nation und der Wacht am Rhein mußte diese peinliche Perfektgotik nicht nur planen, auch noch vollbringen; ordentlich fix und fertig, wo der Rhein doch der Fluß der Romantik ist und Köln eine Stadt der romanischen Kirchen.“

Der Rhein, „Undines gewaltiger Vater, ist für Böll kein Fluss der „sommerlichen Heiterkeit“, vielleicht ist es „ein Gemütsfehler, der mich hinderte, diese Heiterkeit zu entdecken. Mein Rhein ist dunkel und schwermütig, ist zu sehr flußhändlerische Schläue, als daß ich ihm sein sommerliches Jünglingsgesicht glauben könnte.“ Böll ist sich stets bewusst gewesen, dass „sein“ Köln fiktiver Natur ist: „Nein, Köln gibt’s schon, aber es ist ein Traum.“

Dass sie aber auch zur starken Solidarität fähig ist, bewies die Stadt Köln Heinrich Böll gegenüber. So kontrovers die Beziehungen zwischen ihr und dem Schriftsteller auch waren, so kritisch die Äußerungen auf beiden Seiten, beschließt der Rat der Stadt im Jahre 1982, Heinrich Böll die Ehrenbürgerschaft zu verleihen. Fünf Jahre zuvor hatte es anlässlich seines 60. Geburtstages einen Empfang im Kölner Rathaus gegeben, ein Zeichen besonderer Wertschätzung und ein Ausdruck des Zusammenhalts der Stadt mit Heinrich Böll angesichts der im Zusammenhang mit den Ereignissen im Deutschen Herbst 1977 kulminierenden Hetze gegen ihn und seine Familie. Heinrich Böll hat dies, so sein Sohn, „als Zeichen verstanden und auch so empfunden.“

Die oft als Heinrich Bölls “östliche Zwillingsschwester” bezeichnete Christa Wolf fand in ihrer Festrede auf der Matinee zum 80. Geburtstag des Schriftstellers am 17. Dezember 1997 in Berlin eindrucksvolle Worte für das Leben und Werk Bölls:

‘Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt.’

Das ist nun bald zweihundert Jahre her. Der Atem der Hoffnung zieht, manchmal beinahe erstickt, durch die Jahrhunderte. Nicht eine bläßliche, schwächliche, tatenarme Hoffnung meine ich. Ich meine jene unersättliche, ununterdrückbare, brüllende Hoffnung, von der Böll schreibt: ‘Die Hoffnung ist wie ein wildes Tier.’ Sie habe ich in Heinrich Bölls Lebensfreude, die sein ganzes Werk trägt, in seinem Humor, seiner Menschenliebe und in seiner Unerbittlichkeit gespürt.”

Literaturhinweis:

René Böll (Hrg.): Heinrich Böll – Köln gibt’s schon, aber es ist ein Traum. Ein Autor uns seine Stadt. KiWi, Köln 2014. 288 Seiten, 14,99 EUR. ISBN: 9783462047226

 

 

 

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