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Foodsharing – geteiltes Essen

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Jetzt ist Schluss – jetzt wird geteilt

Spätestens seit dem Film „Taste the Waste“ vom Kölner Produzenten Valentin Thurn und dem Buch „Die Essensvernichter“ hat das Thema Lebensmittelverschwendung eine breitere Öffentlichkeit gefunden. Fundiert, sensibel und glasklar zeigen die Dokus die eigentlich unfassbare und überdimensionale Wegwerf-, Vergeudungs- und Unachtsamkeitsmentalität der Industrienationen im Umgang mit Essen und Lebensmitteln.
Mehr als die Hälfte aller Lebensmittel, die für diese Länder produziert werden, landen auf dem Müll, während weltweit 24.000 Menschen pro Tag verhungern.

Um diesem katastrophalen Missverhältnis aktiv zu begegnen und mit vereinten Kräften neue Wege im Umgang mit den Mitteln, die uns alle am Leben erhalten, zu finden, hat sich der Verein foodsharing gegründet. Unter Federführung des Kölner Filmemachers und eines engagierten, bundesweit agierenden Teams nahm die Internetplattform „Geben, teilen, nehmen“ bereits Anfang 2012 ihre Arbeit auf und schon im Dezember wurde die Gemeinnützigkeit des Vereins anerkannt.



Via Mausklick und kostenloser Registrierung unter www.foodsharing.de können Privatleute, Händler und Gastronomen ihre überschüssigen Schätze der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, anstatt sie achtlos im nächsten Mülleimer zu entsorgen. Ob nun zwei Becher Sahne, die gerade nicht gebraucht werden, das halbvolle Gemüsefach vor dem Start in den Urlaub oder eine ganze Palette Milch, mit der man sich beim Einkauf einfach verkalkuliert hat – gewisse Regeln einhaltend, kann das nicht Gebrauchte zu jeder Zeit online gestellt werden. Im besonderen Glücksfall sitzt gerade der Nachbar auch vor dem Bildschirm und benötigt just für die Lasagne noch etwas Sahne und klingelt kurz durch, um sich die „überflüssige“ Ware direkt abzuholen. Aber auch wenn die Wege etwas weiter sind und die Kontaktaufnahme zum Anbieter vielleicht etwas mehr Geduld und Geschick erfordert – auf der foodsharing-Plattform tummelt sich ständig ein breites Angebot an Lebensmitteln, die zum Weitergeben und Verschenken angeboten werden.

„Die Resonanz auf foodsharing ist einfach überwältigend“, weiß Vereinspressefrau Ulrike Beck zu berichten. „Täglich kommen neue User hinzu und wir arbeiten intensivst daran, den Handlungsspielraum ständig zu erweitern – sowohl quantitativ als auch qualitativ.“ Denn im Kern geht es bei der neuen Initiative um viel mehr als eine moderne Form des Essenteilens. „Wir wollen ein neues Bewusstsein schaffen, Bewusstsein für den Wert der Lebensmittel. Wir alle haben es in der Vergangenheit verlernt, achtsam und wertschätzend mit diesen Waren umzugehen. Es ist dringend an der Zeit, dass wir eine neue Haltung annehmen und kultivieren. Genauso wie unsere menschliche Fähigkeit, miteinander in Kontakt zu treten und Vorhandenes zu teilen.“

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Teilen spielt eine zentrale Rolle beim foodsharing-Prinzip: weg vom Prinzip „Das ist meins“ und ausgrenzenden Schutzmauern hin zum Erkennen, dass wir alle im selben Boot sitzen. Der Verein will dazu beitragen, die zutiefst menschliche Eigenschaft und Fähigkeit des Teilens wieder ans Tageslicht zu befördern. Allerdings weit ab von erhobenem Zeigefinger, Schuldzuweisung oder aufgesetzter Reglementierung. „Teilen macht einfach Freude und es ist schön, dass wir alle gemeinsam die Chance haben, wieder umzudenken, neue Wege zu gehen, mit- und voneinander zu lernen“, so die engagierte foodsharing-Initiatorin, die es auch sehr begrüßt, wenn sich via foodsharing-Klick auch die ein oder andere Verabredung zum Essen ergibt. Denn auch das gehört auf der Plattform dazu: Warum nicht alle guten Dinge mal zusammenschmeißen, ein köstliches Menü zaubern und dabei noch einen netten Abend in angenehmer Gesellschaft verbringen?

Doch nicht nur im Internet wird von Chips über Käse und Wein bis hin zu Tomaten und Co alles Verwertbare (Regeln, die klar und für alle formuliert sind, bestimmen dabei den cleanen Lebensmitteldeal) angeboten und unter die Leute gebracht. An vielen Orten haben sich zudem Verantwortliche gefunden, die ein Plätzchen für einen sogenannten Fair-Teiler zur Verfügung stellen. Als verschließbarer Schrank oder auch Kühlschrank dienen diese Plätze – vom foodsaver gut im Auge behalten – als direkte Möglichkeit und Aufbewahrungsstätte für all das, was gerade übrig ist. Schnell bei facebook gepostet, weiß das Umland sofort, welche neuen Schätze sich gerade im Fair-Teiler befinden. Und wenn´s grad passt, kann man ja schnell mal vorbeiradeln und das Benötigte aus dem Angebot herausangeln.

Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Der eine braucht kein schlechtes Gewissen zu haben, dass er vor seinem spontanen Wochenendausflug einen fast vollen Kühlschrank seinem Schicksal überlässt, der andere bekommt ohne großen Einsatz und erneutes Einkaufen genau das, was er gerade braucht, und vor allem: Der Wegwerfmentalität wird ein dickes Schnippchen geschlagen. Diese neue Teil-und-guck-genau-hin-Einstellung hat im Endeffekt natürlich auch Auswirkungen auf das gesamte System: Je achtsamer und bewusster die Verbraucher hierzulande – oder auch europaweit – werden, umso mehr können sie den Lebensmittelgiganten ein Stück ihrer Macht entziehen. Je weniger Menschen im üblen Spiel um das größte Stück vom Kuchen mitspielen, umso größer werden die Chancen auf eine gerechter werdende Verteilung.
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Doch zurück zu den ganz praktischen Aktivitäten und Schritten bei foodsharing. „Wir fangen jetzt an, nicht nur die Körbchen, sondern auch die Töpfe zu öffnen“, klärt Ulrike Beck auf. „Körbchen“ sind alle Angebote, die ins Internet gestellt werden. „Wir gehen immer mehr Kooperationen mit großen Caterern und Gastronomen ein. Zurzeit arbeiten wir in Hamburg mit der Großkantine von Beiersdorf zusammen – ein gigantisches Projekt.“ Von etlichen Tausend Essen, die Tag für Tag über die Theke des Caterers gehen, müssen am Ende des Tages nur sehr geringe Mengen entsorgt werden. Das ist die Ausnahme. In der Regel werden gerade in Großküchen Lebensmittel massenhaft vernichtet. Der Grund für den ressourcenschonenden und achtsamen Umgang mit der Ware Essen in der Hamburger Kantine ist eine bestens durchdachte und gut organsierte Infrastruktur vor Ort und die ethische Einstellung der Verantwortlichen. „Dort arbeiten Menschen wirklich mit Sinn und Verstand und mit viel Liebe und Feingefühl für ihre Tätigkeit und die Waren und Menschen, mit denen sie zu tun haben“, weiß Ulrike Beck über dieses Vorzeigeprojekt zu berichten. Und damit wird auch gezeigt, dass selbst in riesigen Kantinen und Essenversorgungen Wertschätzung, Respekt und Achtsamkeit nicht auf der Strecke bleiben müssen.

Damit sich dieses gute Bespiel auch anderswo behaupten kann, arbeiten foodshring-Teamler intensiv daran, auch anderen Interessierten aus der Gastroszene zu zeigen, wie es gehen kann. „Wir helfen den Menschen und den Verantwortlichen von der Pike auf, einen neuen Umgang mit ihrer Arbeit und den Lebensmitteln zu finden.“ Spannend und enorm effektiv. An einem System, wie dennoch vorhandene Reste aus der Gastronomie gut verwertet werden können, wird gearbeitet, ebenso wie an der Einbindung immer weiterer Länder in das Lebensmittelnetzwerk. Und spätestens damit wird auch klar, dass foodsharing eben weit mehr ist als eine Essens-Teil-Stätte. Es geht um grundlegende Fragen der Ethik und der Verantwortung. Und diese werden nicht einfach nur in illustren Foren debattiert und theoretisch verhackstückt – sie werden ganz konkret und tagtäglich beantwortet.

Die Erfahrungen der foodsharer, die Erkenntnisse der Arbeit und weitere Projekte werden vom Mitarbeiterstamm eifrig dokumentiert und veröffentlicht. Auch ein neues Buch, vielleicht ein Filmprojekt sind angedacht. Schließlich soll foodsharing größer, größer und immer noch größer werden. Nicht um sich zu profilieren, sondern um eine dringend erforderliche Wende zu begleiten und tatkräftig voranzutreiben. Jeder Interessierte und Teil-Willige ist herzlich zum Einloggen unter www.foodsharing.de eingeladen. /Elisa Hüsch

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