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Badekultur – Hamam

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Balneum, Hamam, Wellnesstempel

von Felix J. Grosser

Entspannen wie ein römischer Kaiser, verwöhnen lassen wie die Sultane. Die Selbstanpreisungen zeitgenössischer Wellness-Anbieter wimmeln geradezu vor altehrwürdigem, antikem bis exotischem Personal. Bei so viel orientalischer Sinnlichkeit, fernöstlichem Luxus und spätrömischer Dekadenz können gemeine Bewohner unserer für gewöhnlich doch etwas kühleren und graueren Breiten schon ins Schwärmen geraten. Und schwupp, schon öffnet sich in Erwartung sinnlichster Badefreuden im Geiste vergangener Hochkulturen umso bereitwilliger das Portemonnaie. Doch ist das Wellnesbad des angehenden 21. Jahrhunderts tatsächlich ein postmoderner Wiedergänger von Römerthermen und Hamam – oder bläst der Marketing-Diskurs hier lediglich Seifenblasen?

einleitung



Ein guter Ort um dieser Frage auf den Grund zu gehen ist – wer hätte es gedacht – das knapp 40 km südwestlich von Köln gelegene Städtchen Zülpich. Selbiges war nämlich unter dem Namen Tolbiacum bereits Asterix und Obelix ein Begriff. Und was deren Erzfeinde sich dort errichtet hatten, gibt noch heute gebührenden Anlass zum Staunen. Traten doch bei Bauarbeiten Ende der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht weniger als die Überreste einer römischen Thermenanlage zu Tage. Keiner der gigantomanischen Badepaläste wie sie die Kaiser Roms errichten und zum eigenen Ruhme dem Volk hatten stiften lassen – die Ruinen der Caracalla und Diocletiansthermen legen noch heute Zeugnis davon ab. Eher etwas aus der Kategorie : „klein aber fein“. Im kompletten Grundriss, Teilen des Mauerwerks, der Fußböden und sogar der Inneneinrichtung hervorragend erhalten und als Kern- und Prunkstück des deutschlandweit einzigartigen „Museums der Badekultur“ wunderbar anschaulich aufbereitet.
So wird im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar, welch einer reichen Badekultur die früheren Bewohner des Rheinlandes bereits knapp 2000 Jahre vor Wellness, Spa und Co. frönten.

roemer

Dass die alten Römer sich mit diversen Vergnügungen bestens auskannten, meint man heutzutage ja zu wissen. Auch, dass sie in Sachen Wasserbeschaffung keine Mühen scheuten, ist für jeden unschwer ersichtlich, der die Bedeutung des Wortes Aquädukt kennt. Schon eher für Überraschung sorgen dürfte da die Feststellung, dass ein selbiges anstatt in einen Trinkwasserspeicher oder ein landwirtschafliches Bewässerungssystem auch durchaus direkt in die Wasserversorgung der öffentlichen Bäder münden konnte. Das Baden war in allen dem römischen Reich angehörigen Gebieten nämlich seit dem späten zweiten bis frühen ersten Jahrhundert vor Christus elementarer Bestandteil der Alltagskultur. Selbst in kleineren Siedlungen galt es als unerlässlich den hygienischen und regenerativen Bedürfnissen der Bevölkerung in Gestalt einer entsprechend ausgestatteten Therme Rechnung zu tragen. Private Bäder konnten sich nur die Wohlhabendsten leisten. Gewöhnliche Leute mussten in Sachen Reinlichkeit und Komfort aber kaum hinter ihnen zurückstehen, sondern profitierten in den öffentlichen Bädern von einigen der hervorragendsten technischen Errungenschaften der Zeit. Ausgeklügelte Leitungssysteme, die sauberes, unterschiedlich temperiertes Wasser in sämtliche Räumlichkeiten und Abwässer entsprechend ins Freie und aus der unmittelbaren Nähe bewohnter Gebiete transportierten, gehörten ebenso zu den Annehmlichkeiten wie mit fließendem Wasser gespülte Latrinen. Und nicht nur das: Für ihren Badespaß verbreiteten die
Römer auch direkt die Fußbodenheizung in Europa.


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Nichts anderes als Bestandteil eines solchen Systems der Temperaturregulierung – des sogenannten Hypokaustums – sind nämlich die kleinen, ungefähr einen halben Meter hoch, aus runden und quadratischen Platten aufgeschichteten Türmchen, die beim Besuch der Zülpicher Ruine sofort ins Auge fallen. Auf ihnen ruhten einst große Steinplatten, die den eigentlichen Bodenbelag der Thermen trugen. In den so entstandenen Hohlraum drang aus Feuerstellen direkt außerhalb des Gebäudes durch tunnelartige Maueröffnungen heiße Luft ein, die das umliegende Mauerwerk erwärmte. In den Wänden verlaufende Kanäle leiteten sie nach oben und schließlich vom Dach aus ins Freie. So konnten zum einen die Innenräume, zum anderen auch direkt das Badewasser erhitzt werden. Erfunden hatten die Römer das System zwar nicht, aber nachdem sie es in einem frühen Beispiel des Technologietransfers von den Griechen übernommen hatten, für ihre Zwecke perfektioniert.

Der Aufbau einer römischen Therme folgte vom Grundprinzip her stets dem selben Muster– ganz gleich, ob es sich wie in Zülpich um eine relativ bescheidene Anlage oder um eine der prunkvollen Kaiserthermen der Hauptstadt handelte. Die Badbesucher betraten, nachdem sie sich entkleidet und ihre Sachen in davor vorgesehenen Regalen verstaut hatten, zunächst das Frigidarium genannte Kaltbad. Dieser Raum war nicht beheizt und enthielt in der Regel mehere Becken mit kaltem Wasser. In der einschlägigen Fachliteratur herrscht Uneinigkeit, ob er den Beginn oder das Ende eines Badeganges darstellte. Vermutlich handhabten dies die Besucher jedoch einfach nach Gutdünken. Die einen wuschen und kühlten sich eben lieber anfangs ab, andere mögen eine Erfrischung nach dem Schwitzen bevorzugt haben. Vom Caldarium aus gelangte man in das sogenannte Tepidarium. Hier ließ es sich bei angenehm warmen 25 Grad Celsius und geringer Luftfeuchtigkeit prächtig aushalten. Liege- und Sitzgelegenheiten luden zum Verweilen ein, es konnte geplaudert oder sich mit Gesellschaftsspielen vergnügt werden. Wer die nötigen finanziellen Mittel besaß, ließ sich von dafür zuständigem Personal massieren – oder hatte zu diesem Zwecke direkt einen Sklaven mitgebracht. Eine beliebte Art der Körperpflege bestand darin, sich mit Olivenöl einzureiben, welches man anschließend mit Hilfe eines Schabers wieder sorgfältig von der Haut rieb. Ansonsten erfolgte die Reinigung mit Aschenlauge, Seife war in den Thermen nicht üblich. Gelegentlich gab es im Tepidarium auch Wannen, typisch waren sie jedoch erst für den folgenden Raum: das Caldarium. Hier fand der Thermenbesuch seinen Höhepunkt: das Bad im 40 Grad heißen Wasser. Während die Raumtemperatur mit 50 Grad noch darüber lag, betrug die Luftfeuchtigkeit wohl an die 100 Prozent. Der Fußboden ließ sich häufig nur noch mit Holzsandalen unbeschadet betreten. Spätestens hier floss der Schweiß also in Strömen – und so verwundert es kaum, dass in einem zeitgenössischen Epigramm schon mal, erbost über einen übermütigen Heizer, von einem steinernen Scheiterhaufen die Rede ist. Wer die Prozedur überstanden hatte, konnte sich in die kühleren Bereiche der Therme zurückziehen um wieder auf Normaltemperatur zu kommen. Dort ließ sich ruhend Kraft für einen erneuten Durchgang sammeln. Besucher, denen der Sinn nicht danach stand, mussten gleichwohl nicht direkt den Heimweg antreten. Häufig stand ihnen in angrenzenden Räumlichkeiten – mitunter regelrechte Markthallen- ein reichhaltiges Angebot an kosmetischen und medizinischen Behandlungen, sowie kulinarischen Versuchungen zur Auswahl.

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Doch wie so viele schöne Dinge war auch das römische Badeidyll nur von begrenzter Dauer. Der Niedergang des weströmischen Reiches ab dem 4. Jahrhundert nach Christus kam, vermutlich sehr zum Leidwesen derjenigen Bevölkerungsteile, die die alten Sitten noch kannten, einem Niedergang der klassischen Badekultur gleich. Denn die einfallenden germanischen Stämme hatten wenig Verständnis für die Annehmlichkeiten der Thermen. Sie nutzten die römischen Bauten, sofern sie sie im Zuge ihrer Eroberungszüge nicht zerstört hatten, als Lager- und Wohnstätten um. Im östlichen, byzantinischen Teil des Reiches blieb die Badekultur der Römer hingegen weiterhin bestehen und fand mit der Zeit auch in den angrenzenden Gebieten Anklang, so z.B. auf der arabischen Halbinsel. Dort vermischte sie sich teilweise mit lokalen Traditionen. Eine Transformation durchläuft sie dann im Zuge der Verbreitung des Islam und der Landnahmen von Volksgruppen, die diese Religion angenommen hatten. Insbesondere nach den Eroberungen der Osmanen erfuhr sie eine neue Blüte, von der noch heute einige besonders prächtige Bäder zeugen, die in Istanbul, der damaligen Hauptstadt des Osmanischen Reiches, erhalten geblieben sind. Nicht umsonst ist die mit dem arabischen Wort Hamam benannte Art des Bades, auch als türkisches Bad bekannt.

Ein traditioneller Hamam verrät seine Abstammung zum einen durch die Weiterverwendung der hypokaustischen Technologie, zum anderen durch den dreiteiligen Aufbau ganz nach Art einer klassisch-römischen Therme: auf einen kühlen folgt ein warmer, und auf diesen ein heißer Raum, wobei jeweils analog zur Raumtemperatur auch die Luftfeuchtigkeit steigt. Entsprechend folgt auch der Besuch des Hamam dem bereits bekannten Muster: der warme Raum, hier oft nur mehr ein kleiner Durchgang, dient zur Gewöhnung an die hohen Temperaturen, im heißen darf gründlich geschwitzt werden, bevor der kühle Raum Abkühlung und Regeneration bietet. Von rein ornamentalen und architektonischen Ungleichheiten einmal abgesehen, gibt es jedoch einen maßgeblichen Unterschied zum römischen Vorgänger. Und der liegt in den religiösen Maßgaben des Islam begründet. Dort ist nämlich die Reinigung mit fließendem Wasser vorgegeben – was die Wannen des römischen Vorläufers zum „no go“ macht. Ist überhaupt eine zu finden, so wird sie permanent von einem Springbrunnen gespeist, üblicher sind jedoch Wasserhähne an den Wänden oder kleinere Schöpfbecken, die durch Zuläufe permanent mit Frischwasser versorgt werden. Sie dienen den Gästen dazu, sich unter Zuhilfenahme von hölzernen Eimern oder sonstigen Gefäßen im Wechsel mit warmen und kaltem Wasser zu übergießen. Eine weitere Besonderheit des Hamam ist der sogenannte Nabelstein, der sich in der Mitte, direkt unter der Kuppel des meist kreisrunden, heißen Raumes, befindet. Er ist wie der Fußboden beheizt und kann von mehreren Besuchern gleichzeitig als eine Art steinerne Liege- oder Sitzgelegenheit genutzt werden. Dort bieten auch spezielle Bedienstete, die Tellak, gegen ein zusätzliches Entgelt, wohltuende Seifenschaummassagen und Peelings an.

Es bedurfte übrigens der wahnwitzigen Mord- und Plündertouren der Kreuzfahrer, um die Badekultur zurück an die Stätten zu bringen wo sie einst in römischer Zeit etabliert worden war. Angetan von dem, was sie in den islamischen Ländern gesehen hatten, wurde die islamische Adaption der römischen Thermen so wiederum zum Vorbild einer im Mittelalter erneut aufkeimenden europäischen Badekultur. Doch die hygienischen Standards von Römern, Türken und Arabern konnten hier erst Jahrhunderte später wieder erreicht werden.

heute

Während der traditionelle Hamam zwar durchaus noch existiert, ist seine Zahl selbst in den arabischen Ländern rückläufig. Genutzt wird er häufig nur noch von Touristen. Heutige Türken beispielsweise ziehen immer öfter die finnische Sauna vor. Die Thermen der Römer beflügeln unsere Fantasie ohnehin nur noch als Ruinen und archäologische Rekonstruktionen – vielleicht ja gerade, weil sie auf diese Weise unvollständig der Vorstellungskraft Raum bieten. Suchen wir also in Zeiten, in denen sich die hygienische Komponente längst ins Private verlagert hat und kommunale Bäder aus Kostengründen schließen, nach einer Form von öffentlicher Badekultur, landen wir automatisch bei den Produkten des „Wellness-Booms“.

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Zentrales Element der Postmoderne ist, so wissen wir ja seit Fredric Jameson, das Pastiche, also die rein oberflächliche Imitation eines kanonischen Vorbildes, ohne dessen Gehalt oder Substanz angemessen repräsentieren zu können. Und tatsächlich, trotz anderslautender Behauptungen, bieten Wellnesseinrichtungen in der Regel weder eine vollwertige römische Thermenanlage, noch einen Hamam im traditionellen Sinne. Geschweige denn, können sie deren spezifische kulturelle, soziale, kultische oder gar religiöse Sinngehalte reproduzieren. Stattdessen beschränken sie sich größtenteils aufs dekorative Zitieren ornamentaler und architektonischer Bestandteile und die Rekombination einiger struktureller Versatzstücke. So gesehen stellt am ehesten noch die grundlegend beibehaltene Abfolge von Anwendungen, mit dem Ziel der Steigerung des Wohlbefindens, die in irgendeiner Weise mit den Elementen Luft und Wasser zu tun haben und auf dem Kontrast von Wärme und Kälte basieren, das Bindeglied zu den Badekulturen früherer Tage her. Deren Invokation in schmückenden Details und feierlichen Worten dient dann eben dem Zweck Amusement und Genuss der Besucher durch Anregung der Fantasie zu steigern und nicht einem Anspruch auf möglichst originalgetreue Rekonstruktion. Dem Eskapismus lässt sich ja durchaus auch ganz illusionslos und aufgeklärt frönen. Warum auch nicht? Weniger wohltuend werden Bad, Sauna, Massage à la (faux) romana oder turka dadurch nicht, dass sie einer, wie auch immer gearteten, Authentizität entbehren. Schon eher etwas auszusetzen wäre an der Tatsache, dass in aller vorgeblichen Imitationswut ein ganz zentrales Element der alten Badekultur in Vergessenheit gerät: das soziale. Zwar suggeriert die Aufgabe der traditionellen Geschlechtertrennung zunächst anderes, doch Thermen und Hamam waren ihren heutigen Nachahmern in punkto Inklusion in einiger Hinsicht voraus. Waren sie einst Orte der alltäglichen Begegnung und des Austausches quer durch alle Schichten hindurch, so erhält Wellness heute mehr und mehr den Anstrich eines exklusiven und extraordinären Vergnügens für Bessergestellte.

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